Zu empathisch für den Vorstand? Was die Pandemie verändert hat

Als Martin M. zum mir ins Executive Coaching kam, war er bereits seit zehn Jahren als Direktor im Unternehmen tätig. Eine ‚gefühlte Ewigkeit‘ hatte er sich schon auf eine Vorstandsposition beworben. In jedem Feedbackgespräch hatte er seinen Wunsch klar formuliert – immer war er vertröstet worden mit dem Hinweis, er sei nicht durchsetzungsstark genug. In der Zwischenzeit hatte es drei Neubesetzungen im Vorstand gegeben – er wurde nie berücksichtigt.

Das nagte zunehmend an seinem Selbstvertrauen. Dann – auf einmal – kam überraschend der Ruf in den Vorstand. Das Feedback ‚nicht durchsetzungsstark genug‘ zu sein, saß jedoch noch tief. Sein Selbstvertrauen lag – anders als seine Außenwirkung es vermuten ließ – am Boden.

Die Aufgabenstellung für den Coachingprozess hieß: „Ich möchte meinen Job als Vorstand mit Selbstvertrauen starten.“

Kann ich mir selbst vertrauen?
Das Paket mit Selbstzweifeln über Bord werfen

An den Start ging er mit einem Paket an Selbstzweifeln. Auf meine Frage zu Beginn des Coachings: „Woran möchten Sie gerne als erstes arbeiten?“ antwortete er spontan: „Ich möchte verstehen, warum sie mich jetzt in den Vorstand berufen haben. Dreimal war ich ‚nicht gut genug‘ – jetzt auf einmal? Ich habe mich gar nicht verändert. Das ist mir ein Rätsel.“ Ich frage nach: „Woran möchten SIE gerne arbeiten?“ Er denkt nach. „Na ja, wie ich herausfinde, warum mich bisher alle für ‚unfähig‘ gehalten haben und mir auf einmal den Job zutrauen.“ Noch einmal hake ich nach – wieder mit einer anderen Betonung: „Woran möchten Sie gerne ARBEITEN?“ Seine spontane Antwort: „Ich möchte den Mut haben, das Thema anzusprechen.“ „Ok – damit starten wir. Was wäre ein erster hilfreicher Schritt?“ „Vielleicht, dass ich meinen Fokus erstmal auf die positive Seite lenke, also, dass ich den Posten überhaupt bekommen habe?“ „Was noch – außer dem positiven Fokus?“ „Dass ich vielleicht nicht mehr drüber nachdenke?“

Eines der wertvollsten Coachingmodelle ist gerade zu Beginn – wie schon im letzten Blog beschrieben – die Development-Pipeline. Zu Beginn steht: Insight – weiß der Klient genau, wo er sich weiterentwickeln will? Genau dieses ‚Insight‘ fehlte Martin M. Ihm war gar nicht klar, was genau er entwickeln muss, um aus der Falle seiner Selbstzweifel herauszukommen oder besser: Es war ihm nicht bewusst. Denn die Lösung hatte er bereits angesprochen: „Ich möchte den Mut haben, das Thema anzusprechen.“ Es war spannend zu sehen, wie er über meine Fragen Schritt für Schritt seine eigene Idee ins Bewusstsein holte und mit einem Actionplan verband. Noch im Coaching fragte er beim CEO – seinem zukünftigen Boardkollegen – einen Termin an. Wir bereiteten das Gespräch mit der 4-Quadranten-Technik strategisch vor – verknüpft mit einem ‚Trainingsplan‘. Ganz oben auf der Agenda stand: ‚3 x täglich die Gesprächsstrategie üben.‘ So lange, bis die Inhalte ‚in Fleisch und Blut‘ übergegangen sind, so dass er mit Selbstvertrauen in das Gespräch geht. Die Basis von Selbstvertrauen ist die Antwort auf die Frage: Kann ich mir selbst vertrauen? Die Antwort bzw. die Muster, die für die Antwort verantwortlich sind, sind i.d.R. im Alltagsleben verborgen. Z. B. ‚Wie lange halte ich durch, wenn ich mir vornehme regelmäßig zu joggen/abzunehmen/weniger Wein zu trinken/das Handy am Abend auszulassen oder einen Trainingsplan für das CEO-Gespräch einzuhalten? Wer solche Vorhaben langfristig durchhält, sendet das Signal an sein Gehirn: Ich kann mir selbst vertrauen… und halte mein Vorhaben durch.“ Wer dagegen gute Vorsätze immer wieder abbricht signalisiert genau das Gegenteil.

 

Echte und nachhaltige Weiterentwicklung erzielen

Das Gesprächsergebnis mit dem CEO war in mehrfacher Hinsicht beeindruckend: Zum einen konnte Martin M. für sich zu 100% klären, warum der CEO ihn bisher ‚übergangen‘ hatte und zum anderen war genau diese Begründung ein ‚Booster‘ für ihn: „Eine strategische Maßnahme aus der Corona-Krise ist, dass wir ab Juli verstärkt auf New Work setzen werden. Das heißt 50% Homeoffice sollen in Zukunft Standard bei uns sein. Die Mitarbeiter im Homeoffice mitnehmen braucht jetzt eine Führungskraft im Vorstand des Unternehmens mit hohem Einfühlungsvermögen und der intrinsischen Motivation, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen – genau das bringen Sie mit“, so der CEO zu Martin M. Der Vorstand machte deutlich, dass Führen auf Distanz empathische Leader wie ihn braucht. Zudem war Martin M. bekannt für seine geringe Reizbarkeit – auch das ein wichtiges Asset in diesen schwierigen Zeiten. Menschen, bei denen Reizbarkeit eher gering ausgeprägt ist, lassen sich nur schwer aus der Ruhe bringen und reagieren auf Provokationen gelassen, ohne die Fassung zu verlieren. Genau das zeichnet Martin M. aus und hatte beim Vorstand neben seiner Empathie auf das Vertrauenskonto eingezahlt. Das Gespräch stärkte das Selbstvertrauen von Martin M. in doppelter Hinsicht: Zum einen war er stolz, dass er den Mut gehabt hatte, seine Zweifel anzusprechen und zum anderen gab ihm die Bestärkung seiner empathischen Führungsqualitäten, die vorher oftmals vom Vorstand belächelt worden waren, zusätzliches Selbstvertrauen. Beide Charaktereigenschaften, die tief in ihm verwurzelt sind, hatte der LINC Personality Profiler, den er zum Coachingstart gemacht hatte, für ihn sichtbar gemacht. „Dass ich meine Charaktereigenschaften im LPP nochmal schwarz auf weiß gelesen habe, war für mich ausgesprochen wichtig. Das eine ist, wenn man glaubt, dass man so ‚tickt‘, das andere ist, dass ich es dann als Ergebnis im LPP gelesen habe! Eine tolle Erfahrung!“

Die individuellen Ergebnisse im LINC Personality Profiler ermöglichen einen völlig neuen Blick auf die eigene Persönlichkeit und werden so – in Verbindung mit dem Executive Coaching – zum Ausgangspunkt für echte, nachhaltige Weiterentwicklung.