Wenn die Entwicklungspipeline verstopft ist

Seit zwei Coachingsessions drehen wir uns im Kreis. Mein Klient Christopher und ich. Christopher ist Jurist und CLO einer deutschen Tochtergesellschaft eines US-Unternehmens. Wir haben über ein Jahr erfolgreich gearbeitet und viele Techniken entwickelt, die er im Alltag anwenden kann. Er reflektiert, dass er empathischer geworden ist und inzwischen sehr gut in der Selbstwahrnehmung. Das Coaching habe ihn in den letzten zwölf Monaten so viel weitergebracht und er wäre nicht dort, wo er jetzt ist, wenn er das nicht gemacht hätte. Dass er erkennt, bevor er wie ein HB-Männchen hochgeht, das gibt ihm viel. Dass er viele weitere, für ihn wichtige Erkenntnisse gewonnen hat – viele Techniken kennt, ABER…, dass ihm das Dranbleiben schwerfällt. Auf meine geduldigen Coachingfragen: Was brauchen Sie noch, um Ihr Ziel ‚Dranbleiben‘ zu erreichen? antwortet er regelmäßig: Das frage ich ja Sie, deshalb komme ich ins Coaching.

Wenn die Motivation fehlt

Eines der hilfreichsten Werkzeuge im Coaching ist die Entwicklungspipeline (Hicks & Peterson, 1999; Peterson, 2002). Als Diagnoseinstrument der fünf notwendigen Bedingungen für Entwicklung hilft sie mir, den größten Hebel für Christophers Lernen zu identifizieren. Hier zeige ich auf, wie ich seine Situation analysiert habe, dargestellt in der Reihenfolge, in der sie mir klar wurde:

Einsicht: Das Ausmaß, in dem sich Menschen bewusst sind, was sie entwickeln müssen, um größeren persönlichen Erfolg zu erzielen: Christopher war sehr einsichtig. Er hatte erkannt, wie vorteilhaft eine entspanntere innere Haltung für seine Kommunikation und Führungsqualität ist.

Fähigkeiten: Definiert als das Ausmaß, in dem Menschen über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen: Christopher ist klug, reflektiert und hat die nötigen Fähigkeiten, um in fast allen Bereichen erfolgreich zu sein. Alles, was er sich vornimmt, setzt er auch um.

Praktische Anwendung: Das Ausmaß, in dem Menschen die Möglichkeit haben, ihre neuen Fähigkeiten bei der Arbeit zu erproben: Christopher hatte täglich in der Zusammenarbeit mit seinem Team und seinen Kollegen die Gelegenheit, die neuen Fähigkeiten auszuprobieren.

Verantwortlichkeit: Die internen und externen Mechanismen, die Menschen dazu bringen, ihre neuen Fähigkeiten zu verinnerlichen, damit sie ihre Leistung und Ergebnisse tatsächlich verbessern: Christopher war insgesamt fokussiert ein hohes Lern- und Leistungsniveau zu erreichen.

Motivation: Definiert als die Bereitschaft der Menschen, die Zeit und Energie zu investieren, die es braucht, um sich weiterzuentwickeln: Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass dies tatsächlich das Haupthindernis für Christophers erfolgreiche Entwicklung war. Aus dem LINC Personality Profiler wusste er, dass Leistung (neben Einfluss) eines seiner beiden Hauptmotive ist. Das bedeutet, dass er herausfordernde und relevante Tätigkeiten sucht, die auch eine tatsächliche Prüfung für ihn darstellen. Tätigkeiten, die es ihm ermöglichen, Kompetenz für zukünftige Herausforderungen aufzubauen. Das Leistungsmotiv führt dazu, dass er Aufgaben auf einem hohen Schwierigkeitslevel sucht. Nach deren erfolgreicher Bearbeitung entwickelt er ein gutes Gefühl gegenüber sich selbst und seiner Leistungsfähigkeit. Hier lag die Erklärung, dass er mit dem Dranbleiben immer wieder haderte. Das Schwierigkeitslevel der To-dos, die auf den ersten Blick so banal daherkommen – wie z.B. die STOP-Technik oder Unterbrechertechnik in Konfliktsituationen – erschien ihm viel zu niedrig. Sein Leistungsmotiv scharrte mit den Hufen. Im Coaching fanden wir heraus, dass er einen detaillierten Actionplan braucht mit klaren Zeit- und Umsetzungsvorgaben. Wir erstellten eine Excel-Datei mit drei Phasen:

 

ACTION – TO-DO – REFLECTION.

Beispiel:

Action – Entspanntheit (eine Stärke von ihm, die er im LPP identifiziert hatte) üben gegenüber einem Kollegen, der ihn nur durch seine Präsenz zur Weißglut bringt.

To-do – Im Managermeeting am Montagmorgen die STOP-Technik trainieren: S-Stop/T-Take a breath/O-Observe (z.B. Helikopterperspektive einnehmen und mit der Frage verbinden: Was ist mir gerade wirklich wichtig?)/Proceed.

Reflection – Ursache und Wirkung analysieren; Muster erkennen; Was kann ich besser machen?

Die Excel-Datei war verbunden mit klaren Vorgaben: Wie oft? An welchem Tag? Wie lange? Bis wann? etc.

 

To do or not to do!

Konkrete To-do-Listen sind der absolute Klassiker für mehr Produktivität. Sie sind das Gegenmittel zur komplexen und überladenen Welt. Eine simple Aneinanderreihung von Aufgaben und Punkten, übersichtlich geschrieben und bereit zum Abhaken. Die To-do-Liste brachte Christopher ins Tun und zum Dranbleiben. Das Abhaken erledigter Aufgaben auf der To-Do-Liste hatte für seine Motivation einen weiteren Effekt: Die Leistung zu erbringen fühlte sich für ihn sehr gut an und motivierte ihn für die kommenden Aufgaben. Zu sehen, was bereits erledigt wurde und bildlich zu sehen, wie die restlichen To-Dos weniger werden, setzte zudem neue Energie frei, um sich den nächsten Herausforderungen zu stellen.