Das große Schweigen der Vorstände

In den Top Etagen werden Probleme oft „gelöst“, indem sie totgeschwiegen werden. Emotionale Themen werden vielfach komplett ignoriert. Vorstände weigern sich, Themen anzusprechen, die ihnen unangenehm sind. Das Schweigen hat viele Ursachen und weitereichende Folgen. Auch für meine Klientin, die lange – viel zu lange geschwiegen hatte.

Als sie den Posten als CSO übernommen hatte, wehte gerade ein frischer Wind im Unternehmen. Der bisherige Eigentümer hatte sich zurückgezogen – ein neues Vorstandsteam hatte sich formiert. Junge, ambitionierte Kollegen – die Zusammenarbeit machte Spaß. Man war sich einig – der bisherige althergebrachte Führungsstil sollte einem kollaborativen Führungsstil weichen. Flachere Hierarchien wurden eingeführt. HR bekam eine neue Rolle – der Mitarbeiter stand im Fokus – „people first“ war das neue Motto. Dann kam Corona. Umsatzeinbruch um 60%. Das Inlandsgeschäft brach komplett zusammen. Crisis-Management war gefragt. Plötzlich – wie aus dem Nichts – tauchte der Senior-Chef wieder auf und übernahm sukzessive das Ruder. Statt „people first“ hieß es wieder „Effizienz first“. Sparpläne wurden verteilt. Leistung gefordert. Ein Lob – Fehlanzeige. „Ich habe immer das Gefühl, dass es nie genug ist, was ich mache“, klagte die CSO als sie zu mir kam. „Das macht mich völlig fertig. Wenn ich Glück habe, werden meine Entscheidungen respektiert bzw. angenommen aber immer verbunden mit der nächsten Forderung. Niemals mit anerkennenden Worten. Hinzu kommt, dass der Samen, den wir gerade gesät hatten, gefühlt komplett verdorrt – die Uhren laufen bei uns gerade rückwärts, so kommt es mir vor. “ „Kennt der Eigentümer Ihre Gedanken?“, frage ich die Klientin in der Insight-Session. „Nein, natürlich nicht. Ich hadere ja insgesamt mit seiner Rückkehr. Natürlich frage ich mich, traut er uns den Job nicht zu? Warum kommt er zurück?“ Ich frage nach: „Kennt der Eigentümer Ihre Gedanken?“ „Nein – um Gottes Willen. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass ich total verunsichert bin. Das wäre Wasser auf seine Mühlen. Er hatte sich mit großem Trara zurückgezogen – die ganze Firma in einem townhall-Meeting darüber informiert. Das ist gerade mal 15 Monate her.“  „Weiß der Eigentümer, wie Sie über seine Rückkehr denken?“ „Wie gesagt – das habe ich ihm nicht gesagt. Er hat sogar extra ein Boardmeeting einberufen und uns offiziell gesagt, dass er jetzt in der Krisenzeit zurückkommt. Seine Argumente waren, dass wir in einer Umbruchszeit sind und jetzt ganz schnell ganz viel verändern müssen und er als Eigentümer schneller entscheiden kann. Dass er Dinge infrage stellen kann usw.“ „Was würde Ihnen jetzt am besten helfen?“

 

Das Misstrauensvotum

„Na ja, das ist ja fast wie ein Misstrauensvotum. Was ich bräuchte wäre einen Vertrauensbeweis. Im Moment habe ich das Gefühl, dass er nicht nur mir, sondern dem ganzen Board nicht vertraut – also in Bezug auf unsere Entscheidungen.“ „Was wäre der erste Schritt, der Sie jetzt weiterbringt?“ Die CSO überlegt. „Ein erster Schritt? Schwierig.“ „Was könnten SIE tun, damit der Eigentümer Ihre Gedanken, Ihre Verunsicherung kennt?“ „Ich müsste es wahrscheinlich am besten einfach sagen – nur das geht gar nicht.“ „Bleiben Sie mal bei der Idee, dass Sie es ihm sagen. Wie könnten Sie es ihm sagen?“

Das Schweigen führte dazu, dass die Rückkehr des Eigentümers zum Vertrauensproblem für das ganze Board geworden war. Hinter dem Rücken oder „in der virtuellen Kaffeeküche“ wurden die Stimmen immer lauter. In jedem Boardmeeting, das ohne den Eigentümer stattfand, war die Stimmung Thema. Eine solche Situation hat gleich drei negative Konsequenzen: 1. Die Gespräche kosten viel Zeit 2. Die Gespräche kosten viel Energie 3. Die Gespräche bringen negative Energie. 4. Die negative Energie führt zur Verunsicherung im Board und damit zu unsicheren (=schlechten) Entscheidungen.

 

Die Lösung

Im Coaching entwickelten wir ein Konzept für die CSO mit dem es ihr gelang, das Thema beim Eigentümer direkt anzusprechen. Auf Basis des 4-Quadrantenmodells entstand folgender Gesprächsleitfaden:

„Herr Maier, danke, dass Sie sich Zeit genommen haben für das Gespräch. Vielen Dank auch, dass Sie in dem Meeting am Montag Ihre Rückkehr in die operative Führung klar benannt haben. Das haben wir als sehr positiv empfunden. Mir ist klar, dass Sie durch die Coronakrise natürlich auch unter Druck sind. Gleichzeitig gibt es mir das Gefühl, dass Sie unseren Entscheidungen nicht vertrauen und glauben, dass wir in der Krise nicht gut genug managen. Mir ist Klarheit wichtig, deshalb bitte ich Sie mir zu sagen, wie Sie sich die weitere Zusammenarbeit vorstellen.“

Bei der Ansprechbarkeit geht es nicht um den Wortlaut – der wird jeweils auf die individuelle Situation angepasst. Es geht darum, in einem Gespräch nicht nur die Bedenken und eine mögliche Forderung/Lösung zu formulieren. Es geht, neben diesen beiden wichtigen Aspekten, zusätzlich um das klare Benennen der eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Raus mit dem Frust und Ärger aus der Kaffeeküche – „rein“ in die Kommunikation. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und sie in einem konstruktiven Gespräch auf Augenhöhe zu klären. Das schafft Respekt und bringt Klarheit.

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