Wenn Wertschätzung zur Herausforderung wird – wie Thomas S. den Umgang mit seiner langjährigen Assistentin neu gestaltete

Im Rahmen eines intensiven Coaching-Gesprächs stand Thomas S., Geschäftsführer einer IT-Firma, vor einer schwierigen Herausforderung. Seit über 25 Jahren war Karin F. seine rechte Hand – ihm gegenüber loyal, präzise und ‚immer im Einsatz‘. Doch während sie für ihn bisher Stabilität bedeutete, war sie schon längst eine Belastung für das gesamte Team. Karin F. untergrub seit einiger Zeit systematisch die Arbeitsabläufe anderer, indem sie wiederholt in deren Aufgabenbereiche eingriff, gezielt Gerüchte streute und Kolleginnen und Kollegen von wichtigen Gesprächen ausschloss. Dieses Verhalten führte zu Verunsicherung und Ausgrenzung und wurde im Team als Mobbing wahrgenommen. Thomas S. konnte die für ihn neue Situation nicht länger ignorieren und suchte daher Unterstützung im Coaching.

Im Gespräch wurde ihm bewusst, dass ein ehrliches Hinschauen, ein intensives Auseinandersetzen und das Finden nachhaltiger Lösungsansätze dringend erforderlich waren. „Ich schätze Karin F.s langjährige Erfahrung und ihre fachliche Kompetenz sehr“, sagte Thomas S. mit Nachdruck, „doch ihr Verhalten – das ich erst durch die letzten Mitarbeitergespräche realisiert habe - belastet meine Mitarbeitenden und führt auch in der Zusammenarbeit mit mir inzwischen zu spürbaren Reibungen.“

Führung neu gestalten

Zum Start des Coachings hatte Thomas S. den LINC Personality Profiler (LPP) durchlaufen. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftlich fundiertes Instrument der Persönlichkeitsdiagnostik, das individuelle Motive, Charaktereigenschaften und Kompetenzen beleuchtet. Der LPP zeigte u. a., dass er ein starkes Unabhängigkeitsmotiv, eine ausgeprägte Prinzipienorientierung und Strukturiertheit besitzt. Für sein Führungsverhalten bedeutet das: Seine klare Orientierung an Prinzipien und sein Bedürfnis nach Struktur machen ihn zu einem verlässlichen Entscheider. Gleichzeitig kann der Wunsch nach Unabhängigkeit oder das Festhalten an festen Grundsätzen dazu führen, Konflikte nicht frühzeitig offen anzusprechen. Hier kann ihm seine hohe Empathie helfen, Brücken zu bauen, wo sich andere abgrenzen würden, und so zu einem offenen, vertrauensvollen Miteinander beizutragen. Genau diese Punkte reflektierte er zu Beginn unseres Gesprächs: „Mir ist es wichtig, dass jeder seinen klar definierten Verantwortungsbereich respektiert“, betonte Thomas S. „Ich erwarte, dass sich alle im Unternehmen an die vereinbarten Strukturen halten – und mir ist wichtig, dass dabei wertschätzend agiert wird. Außerdem erwarte ich, dass meine Mitarbeiter professionelle Grenzen einhalten, statt ungefragt in die Aufgaben anderer einzugreifen wie Frau F.“

Klar strukturierter Wandel

Ich fragte ihn: „Was soll sie stattdessen tun?“ Thomas S. antwortete spontan: „Teil unserer Unternehmensleitlinie – Menschen verbinden - ist es, konstruktiv und lösungsorientiert zu kommunizieren, anstatt Gerüchte zu streuen oder Kolleginnen und Kollegen auszugrenzen. Uns ist wichtig, dass Konflikte offen angesprochen werden, statt sie ‚über die Kaffeeküche‘ zu eskalieren.“

„Wie können Sie diesen Balanceakt am besten meistern, ohne die langjährige Beziehung zu gefährden?“, fragte ich nach. Gemeinsam entwickelten wir einen strukturierten, in drei Phasen unterteilten Maßnahmenplan:

Phase I - Klares Orientierungsgespräch:

In einem wertschätzenden und klaren Gespräch bespricht Thomas S. sowohl Karins Stärken als auch konkrete Beispiele ihres störenden Verhaltens. Er macht deutlich, dass ihre Einmischung in bestimmte Entscheidungs- und Arbeitsprozesse gegen die Unternehmensleitlinien verstößt und inakzeptabel ist. Gemeinsam mit ihr definiert er klare Verhaltensziele.

Phase II - Regelmäßiges Feedback:

Durch regelmäßige, situativ angepasste Feedback-Gespräche einmal im Monat fördert Thomas S. ab sofort Karin F.s Selbstreflexion und Eigenverantwortung. So erhält sie die Chance, nachhaltige Verhaltensänderungen zu entwickeln und ihre Stärken gezielt einzubringen.

Phase III - Partizipative Entscheidung:

Thomas S. holt in einem persönlichen ‚360-Grad-Feedback‘ aktiv die Rückmeldungen der Mitarbeitenden ein und entscheidet gemeinsam mit ihnen, dass Karin F. weiterhin eine Chance bekommt und vorerst im Unternehmen bleiben kann. Dieser partizipative Führungsansatz stellt sicher, dass transparente Kommunikation und kollektive Verantwortung das Betriebsklima prägen.

Erkenntnisse aus der Persönlichkeitsdiagnostik

In dem Coachingprozess half ihm u.a. die Erkenntnis aus dem LPP, dass eine starke Eigeninitiative Teil seiner Persönlichkeit ist. Seine Eigeninitiative erleichtert es ihm, auch in schwierigen Situationen proaktiv zu handeln. Seine hohe Empathie befähigt ihn, sich gut in die Mitarbeitenden hineinzuversetzen, die derzeit unter dem Verhalten von Karin F. leiden.

Gleichzeitig hatte seine hohe Entspanntheit (Teil seiner Introversion) zur Folge, dass er die Probleme zu lange schleifen ließ und zu wenig mit seinen Mitarbeitenden gesprochen hat. Obwohl er schon lange die Disharmonie gespürt hat, hat er sie nicht angesprochen. Er hat mehr gedacht als gesagt. Als wichtiges Kommunikationstool gab ich ihm das Modell von Konrad Lorenz zum „Desaster der Kommunikation“ mit auf den Weg, um ihn darin zu unterstützen, zukünftig direkter und klarer zu kommunizieren. Das Modell zeigt, wie Kommunikation scheitern kann:

  • Gedacht ist nicht gesagt: Oft bleiben Gedanken unausgesprochen.
  • Gesagt ist nicht gehört: Gesprochene Worte werden nicht immer vollständig aufgenommen.
  • Gehört ist nicht verstanden: Missverständnisse entstehen, wenn die Botschaft nicht richtig interpretiert wird.
  • Verstanden ist nicht einverstanden: Verständnis garantiert nicht Zustimmung.
  • Einverstanden ist nicht beibehalten: Zustimmung wird nicht immer dauerhaft umgesetzt.

Dieses Modell verdeutlicht, wie schnell sich Missverständnisse aufschaukeln können, wenn man Probleme nicht rechtzeitig anspricht, und hilft dabei, konstruktive und offene Gesprächsstrategien zu entwickeln.

Thomas S. erkannte: Dieser Veränderungsprozess ist ein kontinuierlicher Dialog. „Ich habe fest vor, dass wir uns monatlich zusammensetzen, um den Erfolg der Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.“ Mit dieser klaren Vorgehensweise schaffte er es, seine Führungsposition zu festigen und ein Betriebsklima zu stärken, in dem Fairness und gegenseitiger Respekt an erster Stelle stehen.

Dank seines strukturierten, auf seiner Persönlichkeit basierenden Ansatzes gelang es Thomas S., in den Gesprächen mit Karin F. die Balance zwischen Wertschätzung und notwendiger Abgrenzung und Klarheit zu finden. Karin F. erhielt die Gelegenheit, ihr Verhalten zu überdenken und sich weiterhin als wertvolle Kraft im Unternehmen einzubringen. Auf diese Weise sorgte Thomas S. für ein deutliches Signal an die Mitarbeitenden, dass ihm klare Kommunikation und kontinuierliches Feedback wichtig sind. Gleichzeitig schaffte er ein gelungenes Praxisbeispiel für die Unternehmensleitlinie: Menschen verbinden.