Wenn der Elefant im Raum steht, stell‘ ihn vor! Sichtbar sein ohne viel ‚Tata‘

„Mit einem großen ‚Tata‘ füllt mein Vorstandskollege den Raum, sobald er ihn betritt. Das würde ich auch gerne können! Aber nicht so laut. Ich wäre gerne sichtbar ohne viel ‚Tata‘!“ Das war Katharinas Antwort auf meine Frage: Was ist Ihr Coachingziel? „Mein Problem ist: Ich versuche jede Form von Auseinandersetzungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn es dann doch einmal zu einem Konflikt kommt, bin ich schnell bereit, auf mein Gegenüber zuzugehen und auch zurückzustecken, um die Harmonie wiederherzustellen. Irgendwie ist mein Ziel immer die ‚Netteste‘ im Raum zu sein und mir ist klar, dass ich das ändern muss.“

Anders als sie sind ihre drei Boardkollegen sehr wettbewerbsorientiert unterwegs. Positive Selbstdarstellung ist Teil deren DNA, sie steuern ihr Kommunikationsverhalten so, dass es zur Erreichung ihrer eigenen Ziele beiträgt und gehen dabei strategisch vor. Dazu gehören u. a. das gezielte Knüpfen und Pflegen strategisch wichtiger Kontakte, die positive Beeinflussung der Meinung anderer über sich oder auch ein an der richtigen Stelle angebrachtes Kompliment. Die ‚Schatztruhe‘ von Menschen, die den Wettbewerb lieben, ist reichhaltig. Geringe Nachgiebigkeit gehört zu ihrer Persönlichkeit – sie sind rational und treffen Entscheidungen, i.d.R. mit wenig Empathie. Das war nicht Katharinas ‚Ding‘ – so wollte sie nicht sein und werden.

Auszüge aus unserer Coaching-Arbeit: Wenn der Elefant im Raum steht, stell ihn vor!

Zurück auf Anfang: „Ich bin einfach von klein auf so erzogen: Bescheiden, zurückhaltend und nur ja nicht auftrumpfen – das ist quasi meine DNA“, berichtete Katharina im ersten Coaching. „Es macht mich rasend, wenn ich dann diese Selbstdarsteller sehe und weiß ganz genau, dass ich im Grunde mehr drauf habe – hasse es aber, mit Tata den Raum zu füllen.“

Im Online-Coaching gingen wir auf Schatzsuche. Auf der Coachingplattform ‚CAI-World‘ konnten wir interaktiv – unterstützt von vielen, wertvollen digitalen Tools – den Suchprozess visuell und auditiv abbilden. Die Kernfrage: Welche Kompetenzen hat Katharina, die sie dabei unterstützen, sichtbar zu werden und wettbewerbsorientierter aufzutreten – ohne viel ‚Tata‘?

Der LINC Personality Profiler (LPP) führte sie auf die Spur. Sie verstand zunächst, wie sie selber ‚tickt‘. Ihre klare Ausprägung im Bereich Kooperation statt Wettbewerb zeigte ihr schwarz auf weiß, dass hohe Bescheidenheit und Nachgiebigkeit Teil ihres Charakters sind. Das passte mit ihrem Verhalten zusammen: „Ich versuche irgendwie immer, die ‚Netteste‘ im Raum zu sein.“ Wir nahmen die Ergebnisse ihres LPP als Basis für das weitere Coaching mit dem Ziel, ihr Mindset so zu entwickeln, dass sie – auch unter Druck – in der Lage ist, wettbewerbsorientiert zu handeln und gleichzeitig ihre Persönlichkeit zu bewahren. Dazu analysierten wir im nächsten Schritt ihre 25 Kompetenzen aus dem LPP. Anders als Charaktereigenschaften kann man Kompetenzen jederzeit verändern – das ist die gute Nachricht. So verfügt meine Klientin z. B. über hohe Entscheidungsfähigkeit, Durchsetzungsstärke und Konfliktkompetenz – drei wesentliche Kompetenzen, die eine wertvolle Unterstützung darstellen, für ihr Ziel wettbewerbsorientierter aufzutreten.

In dem gesamten Prozess war es Katharina besonders wichtig, absolut authentisch zu bleiben. Die zentrale Frage hieß: Wie konnte sie jetzt ihre Kompetenzen so einsetzen, dass die Wettbewerbsorientierung gestärkt wird, ohne dass sie ihre Kooperationsleidenschaft verrät? Die goldene Regel heißt: Wenn der Elefant im Raum steht, stell ihn vor. ‚Elefanten im Raum‘, bezeichnen das Thema, um das es eigentlich geht, was aber in den meisten Fällen nicht angesprochen wird. In Katharinas Fall ihre nette Art. Sie lernte ‚ihren Elefanten‘ in wichtigen Gesprächen vorzustellen und nutzte dazu ihre Konfliktkompetenz: „Ihr kennt mich lange genug, ich habe eher den Ruf als ‚die Nette‘. Mit dem nächsten Thema mache ich mich diesmal eher unbeliebt bei Euch...“ – Den Elefant zum Sprechen zu bringen erfordert Mut und Fingerspitzengefühl, ist aber lange nicht so anstrengend, als Elefanten immer wieder zu verdrängen. Da Katharina während des Coachingprozesses stärkende Kompetenzen, die zu ihr gehören, entdeckt hatte, fiel ihr die Umsetzung in die Praxis leicht. Wunderbarerweise beinhalten die ‚Elefantenthemen‘ häufig wertvolle Potenziale für die Persönlichkeitsentwicklung. Diese ‚magischen Momente‘ der Klärung zu erleben, motivierte Katharina jeden Tag aufs Neue für ihre Veränderung. So gelang es ihr, Schritt für Schritt ihren Kollegen mehr auf Augenhöhe zu begegnen.

In den nächsten Wochen begann Katharina zudem die Wahlmöglichkeiten, die sie bezogen auf ihr Verhalten hat, auszuloten. In ihrem Persönlichkeitsprofil entdeckte sie Facetten – wie bspw. ihr ausgeprägter Enthusiasmus, ihre hohe Leistungsorientierung und ihre Ruheorientierung, die ihrem Potential, auf dem Weg zu ihrem Ziel – wettbewerbsorientierter aufzutreten – noch mehr Schub gaben.

Ergebnis: Kompromiss ist nicht das höchste Gut

Der Elefant im Raum ermöglichte es Katharina, ihre Konfliktfähigkeit stärker auszuleben und brachte sie zu der Erkenntnis, dass Kompromiss nicht das höchste Gut ist. Anstatt Erfolge eher zurückhaltend zu kommunizieren, wie sie es zuvor getan hatte, benannte sie jetzt auch ganz offen, wenn ihr etwas gut gelungen war. Sie lernte zudem ‚Diskurs-Vokabeln‘ und nahm neue Wörter und Redewendungen in ihren Sprachschatz auf – z. B. zum Thema Selbstdarstellung. Ein Satz wie „Ich bin stolz darauf, dass ich…“, geht ihr inzwischen locker über die Lippen. Katharina lernte so, sich nicht nur in Meetings klar abzugrenzen und fühlte sich jetzt wohler, wenn es notwendig war, auch mal unnachgiebig zu sein. Mit der Zeit erhielt sie immer mehr positive Rückmeldungen von ihren Vorstandskollegen zu ihrer neu gewonnenen Klarheit und der Fähigkeit, Vorhaben auch unter Druck mit Nachdruck durchzusetzen.