Von der Schäufelchen-Schlacht zur Co-Führung mit Haltung

Wie ein Vorstand seinen Beziehungsstil entdeckte und damit eine neue Form von Souveränität: René M., CTO eines international tätigen Automobilzulieferers, wurde auf Druck der Shareholder von den Gesellschaftern beauftragt, eine neue Rolle zu übernehmen: Co-CEO an der Seite von Carsten B., dem langjährigen CEO des Unternehmens. Was als Verstärkung geplant war, ein Zeichen der Zukunftsorientierung, fühlte sich für ihn zunächst an wie ein Drahtseilakt.

„Ich soll Carsten unterstützen, damit wir die Transformation schaffen“, sagte René M. im Coaching. „Aber es fühlt sich gerade eher so an, als würden wir in entgegengesetzte Richtungen laufen.“ Carsten B. vertraut auf Erfahrung, Stabilität und bewahrt gern etablierte Strukturen bei. René M., der CTO mit klarem Blick für Strategie, Effizienz und Wachstum, denkt und handelt wie ein Transformation-ICE: schnell, fokussiert und ungeduldig gegenüber Stillstand. Die Herausforderung: Das Unternehmen, ein traditionsreicher Maschinenbauer, stand vor einem radikalen Umbau. Digitale Geschäftsmodelle, kürzere Innovationszyklen und neue Kundenanforderungen erforderten einen Wandel, weg von einem reinen Produktanbieter hin zu einem datenbasierten Lösungsanbieter. „Ich spüre, dass er mich als Bedrohung sieht und nicht als Partner. Und ich verstehe ihn sogar. Aber ich kann nicht so weitermachen wie bisher, denn dann geht das Unternehmen pleite.“

Die Sandkasten-Metapher und was sie auslöste

Nach einer Stunde intensiver Reflexion sagte ich ihm: „Wenn ich Ihnen zuhöre, klingt es, als würden zwei Jungs im Sandkasten sitzen und sich die Schäufelchen über den Kopf hauen.“ René M. runzelte erst die Stirn. Dann musste er lachen. Dann wurde er ernst. „Das Bild sitzt. Genau so fühlt es sich an. Jeder will Recht behalten. Jeder sieht nur sich.“ Diese Metapher wurde im Coaching zum inneren Prüfstein und zur Einladung an René M., sein eigenes Verhalten ehrlich zu hinterfragen. Nicht, um Schuld zuzuweisen. Sondern um Verantwortung zu übernehmen. Seine erste Erkenntnis: „Ich will nicht überfahren werden und ich will auch niemanden überfahren.“

Das Coaching diente der Vorbereitung für den CTO auf ein moderiertes Gespräch zwischen ihm und Carsten B., das von einem externen Mediator begleitet wird, mit dem Ziel, einen tragfähigen Rahmen für die Zusammenarbeit als Co-CEOs zu schaffen.

Das größere Schäufelchen

René M. war anfangs überzeugt: „Zuerst klären wir in dem Gespräch das ‚Was‘, also wer welche Bereiche übernimmt. Dann reden wir über das ‚Wie‘.“ Denn es gab ein ‚Was‘ zu klären: die Aufteilung der Verantwortungsbereiche im Führungsteam. Wer übernimmt Einkauf, Produktion, Entwicklung, Kommunikation, Transformation? Die Herausforderung: Jedes Gespräch darüber wurde bisher zur Eskalationsfläche. Eine einfache und zugleich wirkungsvolle Frage brachte Bewegung in seine festgefahrene Dynamik: „Was passiert, wenn Sie zuerst über das ‚Wie‘ sprechen, statt sich gleich am ‚Was‘ zu reiben?“ wollte ich von ihm wissen.

„Wenn wir gleich ins Inhaltliche gehen“, reflektierte René M. zunächst nachdenklich, „dann sitzen wir wieder da wie zwei Jungs und streiten um das größere Schäufelchen.“ Im Coaching zeigte sich deutlich: Die inhaltliche Klärung allein reicht nicht. Solange der Modus der Zusammenarbeit ungeklärt bleibt, wird jede Diskussion zum Machtkampf. Erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit seinen eigenen Reaktionsmustern, dem inneren Wunsch nach Fairness und der Angst, selbst überfahren zu werden, entstand Schritt für Schritt eine neue Haltung: Erst das ‚Wie‘, dann das ‚Was‘.

Elefanten, Emotionen und Ehrlichkeit

Wir planten gemeinsam das anstehende Gespräch mit Carsten B. Im Zentrum stand ein klarer erster Schritt: den Elefanten im Raum sichtbar machen. Bevor es um Verantwortlichkeiten und Strukturen gehen konnte, brauchte es Raum für das, was bisher unausgesprochen geblieben war: Verletzungen, Reibungspunkte, Befürchtungen. Alles sollte auf den Tisch kommen, ehrlich, respektvoll, moderiert. Ein Gesprächsbeginn, der nicht in der Sache, sondern im ‚Wie‘ des Miteinanders ansetzt. Ich schlug ihm dafür eine strukturierte „Elefanten-Übung“ mit 30 roten und blauen Karten vor. Die roten Karten stehen für kritische Punkte („Was darf auf keinen Fall passieren?“), die blauen für Wünsche und Potenziale („Was wäre großartig, wenn es gelingt?“). Eine Übung, die psychologische Sicherheit schafft und die Grundlage für echte Zusammenarbeit legt.

„Wir können davon ausgehen, dass erst mal mehr Rot als Blau auf dem Tisch liegt“, sagte ich ihm. Auch dieser Elefant sollte zu Beginn benannt werden: die klare Erwartung ‚Hier liegt Spannung in der Luft‘. Und auch das Ziel gehört von Anfang an auf den Tisch. Ich erläuterte weiter: „Machen Sie zu Beginn klar: ‚In sechs Monaten soll es umgekehrt sein: mehr Blau als Rot.‘“ Diese Übung sollte Raum für Emotion schaffen und gleichzeitig entlasten. Denn: Die wirklichen Blockaden lagen nicht im Organigramm, sondern in den Verletzungen beim CEO bzgl. der Entscheidung der Shareholder. In seiner Wahrnehmung hatte man ihm einen Co-CEO nicht ‚zur Seite gestellt‘, sondern ihn ihm in Wahrheit vor die Nase gesetzt.

Zielbild, Interaktionsmatrix & Governance – das neue Set-up

Ich führte René M. im Coaching zu einer entscheidenden Einsicht: Er hatte bislang kein klares Mandat der Shareholder, um ein tragfähiges Co-CEO-Set-up wirklich zu gestalten. Solange die politischen Linien unscharf und die Rollen ungeklärt blieben, war jede Struktur fragil. Auf dieser Grundlage begannen wir, ein belastbares Modell mit klaren strukturellen, inhaltlichen und kulturellen Elementen zu entwickeln. Nicht als fertiger Plan, sondern als Reflexionsrahmen, der ihm helfen sollte, mit Klarheit, Realismus und Führung in Gespräche mit Gesellschaftern und Carsten B. zu gehen.

1. Shareholder-Mandat sichern 
„Was darf ich eigentlich entscheiden und worüber müssen wir gemeinsam zurück ins Gremium?“ Diese Frage stand am Anfang und das aus gutem Grund. Ohne ein eindeutiges Mandat der Gesellschafter läuft jede Klärung mit dem Co-CEO ins Leere. Denn:

  • Entscheidungen würden sonst in der Rückschleife hängen bleiben
  • Carsten B. könnte sich immer wieder auf Unklarheiten berufen
  • die Beziehung zwischen den beiden würde weiter beschädigt

Ein klares Mandat gibt Halt. Für beide. Es definiert, was René M. allein entscheiden darf, was gemeinsam abgestimmt wird und welche KPIs in den nächsten 90 / 180 / 365 Tagen erreicht werden sollen.

2. Gemeinsames Zielbild
Ein Satz, der Orientierung stiftet: „In 90 Tagen haben wir unseren Geschäftsverteilungsplan finalisiert und erste Quick-Wins in Einkauf & Operations umgesetzt.“

3. Klare Rollenzuteilung
Carsten B.: Entwicklung, HR, Kommunikation
René M.: Transformation, Einkauf, kommerzieller Bereich

4. Interaktionsmatrix

  • wöchentliche Kurz-Calls
  • monatliches Steering-Board
  • Vertrauens-Check-in am Anfang jedes Treffens

5. Eskalationspfad mit Mediations-Slot
Wenn’s knirscht: innerhalb von 48 Stunden ein moderierter Klärungs-Call mit Coach

6. Governance-Charter
Ein „Co-CEO-Handbuch“ mit Regeln, Formaten, Rollen, Eskalationswegen

7. Pilotphase mit Reviewpunkt nach 90 Tagen

Der LINC Personality Profiler: Beziehung ist seine Stärke, sofern er sie zulässt

René M. hatte im Vorfeld den LINC Personality Profiler* durchgeführt, mit aufschlussreichem Ergebnis:

  • hohe emotionale Stabilität, auch in Drucksituationen besonnen
  • ausgeprägte Gewissenhaftigkeit & Leistungsorientierung bedeuten hohen Anspruch und klare Standards
  • hohes Beziehungsmotiv & Altruismus zeigen sein starkes Bedürfnis, andere zu unterstützen
  • starke Entscheidungskompetenz & Rationalität: klar, strukturiert, handlungsorientiert
  • zurückhaltende Selbstsicherheit mit der Tendenz, sich hinter Effizienz zu verstecken

Im Coaching wurde klar: „Ich habe verstanden, dass meine Beziehungsfähigkeit kein Widerspruch zu klarer Führung ist. Im Gegenteil: Sie ist meine stärkste Kraftquelle.“ Das war der erste und entscheidende Schritt in die richtige Richtung. Der Wechsel vom reaktiven Rollenverhalten hin zu einer reflektierten Gestaltung der Zusammenarbeit markierte eine echte Zäsur. Natürlich: Tief verankerte Muster verändern sich nicht über Nacht. Doch genau hier beginnt wirksame Transformation: nicht mit dem perfekten Plan, sondern mit einem veränderten Mindset. Von diesem Punkt aus ließ sich erstmals konstruktiv am „Was“ arbeiten, weil das „Wie“ erstmals eine Chance hatte, gelöst zu werden.

Take-Aways:

  • Führung beginnt mit Beziehung. Wer das ‚Wie‘ klärt, ermöglicht echte inhaltliche Fortschritte.
  • Verletzungen brauchen Sprache. Ohne sie bleibt jede Struktur leer.
  • Der LPP zeigt: Deine größte Ressource ist oft dort, wo du sie am wenigsten erwartest.
  • Governance ist kein Excel-Modell. Sie lebt von Vertrauen und von Ritualen, die dieses Vertrauen stärken.
  • Transformation braucht Klarheit. Und Klarheit braucht Mut.

Wenn Sie selbst vor einer Schlüsselentscheidung stehen, ob als CEO, in einer Co-Führung oder mitten im Veränderungsprozess, schreiben Sie mir. Gemeinsam schaffen wir Klarheit, die trägt.

(*LINC Personality Profiler – Ein wissenschaftlich fundiertes Instrument der Persönlichkeitsdiagnostik, das individuelle Motive, Charaktereigenschaften und Kompetenzen beleuchtet, das Basis für alle meine Coachingprozesse ist.)