Stell Dich nicht so an! … oder: wenn Lügen Kultur haben

„Alle Deine Vorgänger haben das unterschrieben – komm‘ stell Dich nicht so an und unterschreib hier.“ Es war genau dieser Satz, der Sabine S., Führungskraft einer Bank, dazu brachte jedes Jahr dasselbe Dokument immer wieder zu unterschreiben obwohl sie genau wusste, dass sie damit gegen die Compliance-Vorschriften und damit gleichzeitig gegen ihren ganz persönlichen Wertekanon verstieß. Immer wieder entschied sie sich gegen ihre Werte und setzte ihre Unterschrift unter das Dokument.

So zu handeln war ‚Usus‘ im Unternehmen – ein Begriff, der in diesem Zusammenhang oft fällt. Ganz persönlich belastete sie diese Entscheidung zunehmend. Sie war aber nicht in der Lage, zu dem Mitarbeiter, der seit Jahrzehnten ein sehr gutes Standing im Unternehmen hatte, Nein zu sagen. Zusammen mit anderen Vorfällen wurde der innere Druck irgendwann aber zu groß, sodass sie mich um Rat bat.

Auszüge aus unserer Coachingarbeit: Handlungsfähig werden unter Druck. Die Lösung: State-Control
 

„Warum handeln Sie gegen Ihre Werte und gegen Compliance-Regeln? Was glauben Sie?“, fragte ich. Auf dem elektronischen Flipchart stand schon nach wenigen Minuten: „Wenn ich nicht unterschreibe, dann glaube ich, dass mich der Kollege für ein ‚Mädchen‘ statt für eine toughe Entscheiderin hält.“ Dieser Glaubenssatz brachte sie in eine schwache Position. Sie wollte dazugehören, um stark zu wirken. Dahinter stecken die beiden Urängste: die Angst, nicht genug zu sein, und die Angst, nicht geliebt zu werden. Diese Erkenntnis brachte die Lösung. Die Bedeutung, die sie der Situation gab – in ihrem Fall war es die Angst, nicht gemocht zu werden – war für sie der Schlüssel.

„State-Control“ ist die Fähigkeit unseres Gehirns, Emotionen im Alltag zu managen, und Teil jeder Entscheidung, die wir treffen. Bewusst oder unbewusst. Unter „State“ versteht man die Summe aller neurologischen und emotionalen Prozesse, die zu irgendeiner Zeit in einem Menschen entstehen. Menschen, die über die Fähigkeit verfügen, ihren „State“ gut kontrollieren zu können, reagieren in Krisensituationen entspannter und treffen bessere Entscheidungen.

Durch das State-Modell erkannte sie, dass sie selbst für diese Angst verantwortlich war, die es ihr nicht möglich machte, die Unterschrift abzulehnen. Ab sofort gab sie der Situation eine neue Bedeutung. Reframing: „Ich bin die toughe Entscheiderin – ich stehe zu meinen Werten.“ Diesen Satz prägte sie sich ein, las ihn vor dem Treffen mehrfach durch und führte erstmals ein ablehnendes Erfolgsgespräch mit dem Kollegen.

Das Coaching-Ergebnis:
 

Copy & Paste – Strategie für den Führungsalltag: Ausnahmsweise ist kopieren erlaubt. Sabine S. übertrug diese Vorgehensweise ab sofort auf vergleichbare Situationen in ihrem Business-Alltag. Ihr Leitfaden, den sie im Coaching mit mir entwickelte, liest sich so:

Fragen Sie sich bei der nächsten schwierigen Situation, in der es um die Frage „compliant oder nicht-compliant?“ geht: Warum treffe ich die Entscheidung so, wie ich sie treffe? Welche Bedeutung gebe ich der Situation/dem Thema? Welche Emotionen stecken dahinter? Welche Konsequenzen ergeben sich und welche Konsequenzen bin ich bereit zu tragen? Welche Wahlmöglichkeiten habe ich?

Sie entscheiden über die Antwort! Und je nachdem wie diese ausfällt, entwickelt sich anschließend Ihr State und daraus folgend Ihr Verhalten. Übernehmen Sie so die Verantwortung für Ihr Handeln! Sie treffen eher eine Entscheidung, die compliant ist, wenn Sie in dem dazugehörigen State sind. Eine Haltung, die es Ihnen ermöglicht, auch bei Gegenwind Ihre Werte und Prinzipien umzusetzen.

In diesem Sinne ist State-Control der gezielte und bewusste Umgang mit dem eigenen Bewusstseinszustand, der eigenen inneren Haltung. Ziel ist es, dass eine Führungskraft ein bestimmtes – in diesem Fall ehrliches Grundgefühl, eine innere Haltung – jederzeit abrufen und an die Mitarbeiter weitergeben kann.

Wer sein Gegenüber zu einer ehrlichen Haltung führen will, der muss sie vorleben. Soziale Ansteckung funktioniert auch im positiven Sinne. Die eigene Haltung, die man ausstrahlt, entspricht der Wirkung, die man auf seine Mitarbeiter oder Kunden hat. Von einer Führungskraft, die Integrität, Vertrauen und Unbestechlichkeit ausstrahlt, springt automatisch ein integrer Funke auf die Stakeholder über. Eine aufrichtige Einstellung ist die Basis für Führung, die compliant ist. State-Control kann jeder lernen. Auch Sie. Fangen Sie jetzt an, denn wie Goethe schon sagte: „Erfolg hat drei Buchstaben: Tun.“