Selberdenker oder Wackeldackel? Oder: Wie ein Chef lernte, sich nicht mehr einzumischen!

„Wie kann ich besser in die richtungsweisenden Entscheidungen von meinem CMO miteinbezogen werden, ohne mich im Detail zu involvieren?“ Mit dieser Frage kam der Eigentümer eines mittelständischen Unternehmens zu mir ins Sparring. Aus dem LINC Personality Profiler wussten wir, dass er eine starke Ausprägung zur Kritikorientierung hat, gepaart mit einer hohen Impulsivität und hoher Handlungsinnovation, die aussagt, dass Menschen gerne Neues ausprobieren. Da er zudem sehr spontan agiert, führte das immer wieder dazu, dass er sich in Details einmischte und schlussendlich ‚par ordre du mufti‘ entschied.

Auszüge aus unserer Coaching-Arbeit: „Gas geben und bremsen überlassen Sie besser Ihrem CMO!“
 

„Wie führen Sie Ihren CMO?“, wollte ich zunächst wissen. „Welche Kultur leben Sie vor? Gehört Einmischen zum Alltag oder ist Vertrauen oberstes Gebot? Welche Rolle spielt Kritik in Ihrem Unternehmen? Und hier meine ich nicht die Hochglanz-Kultur-Schlagzeilen von Ihrer Webseite – sondern die von Ihnen wirklich gelebte Kultur im Alltag!“ Im Gespräch stellte sich schnell heraus, dass er ‚Gegenargumente‘ – so wie er es nannte – zwar anfragt, dass er aber gerne auf seine eigene Erfahrung und sein Wissen vertraut. Schlussendlich sei es ja sein Geld, um das es hier ginge und dass der CMO jetzt auch schon seit 10 Jahren in der Firma sei, seit zwei als CMO. Der solle doch so langsam sein Handwerk können.

STOP! „Wie haben Sie denn Ihren CMO in den letzten Jahren entwickelt? Eher zum kritischen Selberdenker, der Ihnen auch Paroli bietet oder zum Wackeldackel?“ Im Sparring wurde ihm klar: Als Chef ist es nicht seine Aufgabe, sich mit Details zu beschäftigen. Im Gegenteil: Der CMO sollte im driver‘s seat sitzen, selbst lenken, Gas geben und bremsen. Als Unternehmer ist er Mentor und Co-Pilot, räumt die ‚roadblocks‘ aus dem Weg und gibt die strategische Richtung vor. Dafür ist er da. Er ist nicht da, um sich hinzustellen und zu sagen: „Ich will die Farbe pink“, sondern: „Wir wollen unsere Markenfarbe deutlich im Produkt wiederfinden.“ Er fand heraus, dass er den CMO schwächt, wenn er sich in der Mikroebene einmischt. „Alles schön und gut Frau Segschneider, aber… wie soll ich meinem CMO denn vertrauen und wie verhindere ich, dass ich zu spät erfahre, wenn bei wegweisenden Projekten im Prozess Fehler gemacht werden?“

In einem Rollenspiel analysierten wir dazu zunächst, welche Wirkung er mit seiner ‚par ordre du mufti‘ Strategie bei dem CMO – und den anderen Mitarbeitern – erzielte. Er erkannte, dass Mitarbeiter, die möglicherweise aus Angst vor ihm, dem ‚großen Chef‘, mit dem Kopf nicken, für sein Unternehmen nahezu wertlos sind. Gefragt sind kritische Selberdenker, die Prozesse selbstbewusst hinterfragen, Strategien in neue Bahnen lenken können und so für eine höhere Entscheidungsqualität sorgen. Prozesse, die auf Basis einer soliden ‚Kritiker-Kultur‘ entstehen, sind deutlich tragfähiger mit der Folge, dass richtungsweisende Entscheidungen schon von Beginn an sehr viel fundierter vorbereitet und Fehler vermieden werden.

Im nächsten Schritt stellte er sich ans elektronische Flipchart mit der Aufgabe: Einmischen vs. Kritiker. Auf den ersten Blick sah er nicht den unmittelbaren Zusammenhang. Im Laufe der Sitzung wurde ihm klar, dass seine bisherige Art der Einmischung und Detailverliebtheit dazu geführt hatte, dass Kritik schon an der Basis verstummte. Seine entscheidende Erkenntnis war, dass er lernen musste, Kritiker nicht nur zuzulassen, sondern von Beginn an eine positive Haltung gegenüber Kritikern zu entwickeln.

Das Ergebnis: Etablieren einer ‚Challenger-Task-Force‘
 

Der Unternehmer lernte Dissonanz und Kritik zunächst für sich selbst zuzulassen – ein zugegeben längerer Prozess mit wichtigen Etappen hin zu wertvoller Selbsterkenntnis, die automatisch zu mehr Selbstbewusstsein führte. Darauf aufbauend etablierte er eine gelebte, aktive ‚Challenger-Task-Force‘ im Unternehmen. Als Teil jeder richtungsweisenden Entscheidung war deren Aufgabe, vorgeschlagene Wege in einem Projekt klug zu hinterfragen, bestehende Erfolgsmuster auf den Prüfstand zu stellen, neue Ansichten einzubringen und Außergewöhnliches zu wagen.

‚Ganz nebenbei‘ zahlte die neue Herangehensweise auf die Charaktereigenschaften des Unternehmers ein. Der Schlüssel dazu war sein Perspektivenwechsel: Seine Kritikorientierung bediente er jetzt mit der neuen ‚Kritiker-Kultur‘ und seine Handlungsinnovation bekam durch die neue Vorgehensweise und das Einrichten der ‚Challenger-Task-Force‘ täglich Nahrung. Durch den klar definierten Strategie-Prozess, den wir gemeinsam im Sparring entwickelten, hatte er immer seltener das Bedürfnis in die richtungsweisenden Entscheidungen seines CMOs einbezogen zu werden – im Gegenteil: Er lernte zu vertrauen, ohne sich im Detail einzumischen.