Rotwein, Tee oder Coaching – was hilft, wenn der Erfolgsdruck schlaflose Nächte bringt?

„In dieser Krise muss ich permanent harte Entscheidungen treffen, damit die Firma, die ich führe, einerseits kurzfristig überleben kann und andererseits muss ich schon die Samen säen damit wir langfristig gedeihen können. An der Spitze zu stehen, heißt im Alltag für mich schmerzhafte Entscheidungen treffen und umsetzen. Das fängt an bei Kostensenkungen, Entlassungen, Schließungen und in der Pandemie vor allem weitreichende Änderungen von Arbeitsregeln, Verantwortlichkeiten und Strategien. Dazu muss alles schnell gehen – mit unvollständigen Infos und gefühlt warten vor meiner Tür jede Menge unangenehme Überraschungen und unzufriedenen Menschen. Das macht mich gerade völlig fertig. Ich habe – was ich gar nicht kenne – schlaflose Nächte und fühle mich ausgelaugt. Können Sie mich unterstützen? Noch eines: Ich brauche ein schnelles Ergebnis!“

Unter den aktuellen Bedingungen solide Entscheidungen zu treffen, ist sehr schwierig – und noch schwieriger ist es, das Vertrauen zu bekommen, nach dem sich die Mitarbeiter in Krisenzeiten mehr denn je sehen und das sie brauchen. Die Art und Weise, wie eine Führungskraft Entscheidungen formuliert und umsetzt, ist dabei genauso wichtig wie das Treffen der richtigen Entscheidungen.
 

Start fast

Die Botschaft war klar: Er wollte ein schnelles Ergebnis. Im Coaching gibt es dazu eine Technik, die man als „start fast“ bezeichnet. Dahinter verbirgt sich ein Frageleitfaden, der genau das ermöglichen soll. Ziel ist, schnell Vertrauen und eine positive Beziehung zum Coachee aufzubauen. Die Technik dahinter: Sofort mit der Arbeit an den wichtigsten Themen des Kunden beginnen und möglichst einen Mehrwert und Wirkung pro Minute generieren. Das klingt hektisch – ist aber strategisch und wenn der Klient bereit ist – in diesem Fall es sogar ausdrücklich wünscht – durchaus realistisch. Es geht um ein fokussiertes und effizientes Vorgehen. Für mich als Coach heißt das zunächst, nicht nach der Vergangenheit zu fragen. „Was haben Sie schon versucht?“ steht auf der „No-Go-Liste. Fragen nach Kontext oder nach Details kann ich jederzeit bei Bedarf später ergänzen. Ich stelle keine Fragen, nur weil ich neugierig bin oder „es hilfreich sein könnte“. Ich lasse mich nicht von leichten Gewinnen verführen – sondern setze auf das lange Spiel. Es geht darum, effizient und strategisch vorzugehen, um den größtmöglichen Wert für den Klienten zu schaffen.
 

Ich startete also mit der ersten Frage:

„Was ist das Beste, was Sie jetzt gerade tun können, um wieder ruhig zu schlafen?“ Spontan antwortet er mit einem fragenden Blick: „Guten Rotwein trinken oder vielleicht eher einen Beruhigungstee?“ Pause. „Was noch?“ frage ich anschließend drei Mal nach und Stück für Stück bahnt er sich in seinem Kopf einen Lösungsweg. Weg von: ein äußerer Faktor = Beruhigungstee ist die Lösung. Hin zu: Die Lösung liegt in mir. Wir thematisieren Verantwortung als Lösungsweg. Wie lebt die Führungskraft Verantwortung vor – wie kommt man raus aus der Opferrolle und dem „fingerpointing“: die Anderen sind schuld?
 

Ich frage nochmal: „Was genau können SIE tun, damit Sie wieder ruhig schlafen?“ Auf einmal „brach“ es quasi aus ihm heraus:

„Keine Ausreden mehr finden. Endlich damit aufhören, mich über so viele Dinge zu ärgern und darüber zu lamentieren, was ich nicht wissen konnte oder was ich hätte tun können, bevor die Krise einschlug, und was ich jetzt alles nicht kontrollieren kann. Ich grübele einfach zu oft sinnlos darüber nach, was hätte sein können und wer die Schuld trägt, und erfinde Ausreden von Maßnahmen.“
 

„Wie sehen Sie sich in dieser Situation als Führungskraft?“

„Dass ich beunruhigt bin ist vielleicht menschlich. Aber ich sollte als CEO erkennen, dass die Dinge noch schlimmer werden, wenn ich mich nicht auf das konzentriere, was ich jetzt weiß und noch aktuell tun kann, um erfolgreich zu handeln. Ich weiß, dass es letztendlich irrational ist, Energie auf vergangene Dinge zu verwenden, die ich unmöglich ändern kann.“
 

„Was werden Sie konkret tun? Was ist der nächste Schritt?“

„Ich konzentriere mich darauf, was ich und meine Boardkollegen tun können, um die Pandemie am besten zu bewältigen. Wir müssen die Herausforderung annehmen und wieder in den Wachstumsmodus kommen – raus aus der Schockstarre. Wir müssen u.a. Kosten kontrollieren und bessere Praktiken für die Remote-Arbeit bzw. demnächst für Hybrid-Arbeit entwickeln. Mein Anspruch als CEO ist es, das Unternehmen trotz der schwierigen Bedingungen in die richtige Richtung zu bewegen.“
 

„Was genau wollen Sie tun?“

„Trial und Error zulassen. Beobachten, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Obwohl unsere Umstellung auf nahezu 100 Prozent Remote-Arbeit zu beeindruckenden Produktivitätssteigerungen geführt hat, will ich diese neuen Arbeitsweisen nicht zu sehr feiern, es geht ja auch viel verloren, wenn alle oder die meisten Arbeiten im Homeoffice erledigt werden – das sind möglicherweise Probleme, die im Laufe der Zeit noch deutlicher werden könnten. HR mit ins Boot nehmen… da fällt mir viel ein!“
 

Reflect daily

In der ersten Session hatte der CEO wichtige Erkenntnisse gewonnen. Entscheidend für den nachhaltigen Coachingerfolg war nun, dass er die geplanten Aktivitäten auch regelmäßig reflektiert. Nur die Kontinuität von ACTION und REFLECTION führt zum dauerhaften Erfolg. Dazu gab ich ihm vier Reflexionsfragen an die Hand, die er seitdem jeweils abends für sich beantwortet:

Tägliche Reflektion

  • Welche neue Sache habe ich heute gemacht?
  • Was hat gut funktioniert? Was hat nicht geklappt?
  • Was habe ich gelernt?
  • Welche eine Sache werde ich morgen anders machen?

Veränderung geschieht immer in einem ganz bestimmten Moment, dazu braucht man eine bestimmte Einsicht und dieser Einsicht muss eine Verhaltensänderung folgen. Damit er dieses Muster verinnerlicht begleitet ihn seit dem Executive Coaching zusätzlich zu den Reflexionsfragen jeden Tag die Leitfrage: Was genau werden Sie anders machen und wann?