Need speed - slow down!

Nach acht Wochen bekam ich einen Anruf vom CEO: „Niemals hätte ich gedacht, dass fünf Minuten täglich eine solche Wirkung entfachen. Ich hab‘ das tatsächlich diszipliniert gemacht – jetzt bin ich bereit für den nächsten Schritt.“

Need speed? Slow down!

 

„Wenn Sie ein Bild auswählen sollten, dass die Geschwindigkeit in Ihrem Unternehmen symbolisiert, welches wäre das?“, frage ich den CEO. Auf dem Tisch liegen 25 Bildkarten. Zielsicher wählt er das Bild aus, auf dem ein „Thrilling Spin“ zu sehen ist. Menschen, die im Karussell sitzen und kopfüber im Achterbahnstil umhergewirbelt werden. Manche kreischen offensichtlich vor Lachen – andere schauen angsterfüllt. „Warum haben Sie dieses Bild ausgewählt?“, will ich wissen. „Das Bild ist sehr dynamisch – wir haben Spaß, wie auch die Leute auf dem Bild. Auch wenn es schnell ist, manchmal auch kopfüber, auf jeden Fall ist es ein Gemeinschaftswerk.“ Er denkt nach und fährt dann fort: „Was wir anders als das Gerät machen, das irgendwann anhält: Wir sind nicht so gut darin, mal eine Pause zu machen…Wir machen immer weiter; Pausen fehlen bei uns.“

Pause & Reflect

 

„Wir haben immer das Gefühl, wenn wir Schritt für Schritt vorgehen, verlieren wir noch mehr Zeit. Wir lehnen uns nie zurück und machen Pause. Es geht immer weiter.“

Wir sprechen darüber, wie wichtig es ist, gerade dann, wenn Unternehmen eine schnelle Wachstumsphase erleben, innezuhalten und zu reflektieren: Sind wir noch mit unserer Mission und Vision im Einklang? Was funktioniert operativ und was nicht? Welche Systeme, Prozesse und Mitarbeiter müssen gestärkt werden, um uns auf zukünftiges, nachhaltiges Wachstum vorzubereiten?

Unternehmen, die Angst haben, ihren Wettbewerbsvorteil zu verlieren, verbringen häufig viel Zeit und viele Ressourcen mit der Suche nach Möglichkeiten, das Tempo zu erhöhen. Dabei wird genau andersrum ein Schuh daraus: Statt immer schneller, höher, weiter zu machen, sollten sie versuchen, das Tempo zu drosseln. In einer Studie mit 343 Unternehmen (durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Economist Intelligence Unit) haben die Unternehmen, die ausschließlich auf Geschwindigkeit setzten, am Ende deutlich schlechter performed als diejenigen, die in Schlüsselmomenten innehielten, um zu hinterfragen, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Die Unternehmen, die „langsamer wurden, um schneller zu werden“, verbesserten Umsatz und Gewinn: Im Durchschnitt erzielten sie über einen Zeitraum von drei Jahren 40 % höhere Umsätze und 52 % höhere Gewinne.

Die Start-up-Lösung

 

„Wissen Sie, mir ist der alte Spruch klar: ,Der Fisch stinkt vom Kopf’ – keine schöne Metapher, aber eine treffende. Ich muss das wohl vorleben – aber wie?“ Im Executive Sparring entwickeln wir erste Gedanken, wie er „Pause & Reflect“ im Unternehmen etablieren könnte. Am Anfang steht die Frage: „Was wäre ein erster Schritt?“ Seine spontane Reaktion: „Es gefällt mir, dass Sie nach einem ersten Schritt fragen und nicht gleich ein riesengroßes Konzept wollen, das dann bei uns doch wieder nicht gelebt wird. Ich bin ja als Investor in Start-ups tätig. Da sage ich den Gründern immer: Einfach mal machen.“

Als „Start-up“-Pendant entwickeln wir zunächst die „Pause & Reflect“-Routine für den CEO selbst – fünf Minuten täglich:

Jeden Morgen mit fünf Minuten „Pause & Reflect“ in den Tag starten statt Email-Check. Timer stellen und dann die fünf Minuten nutzen, um zum Beispiel eine Sinnfrage in Gedanken zu beantworten. Dabei muss es nicht die Sinnfrage nach dem Purpose des Unternehmens sein. Im Gegenteil: Es „macht Sinn“ bei sich selbst anzufangen, etwa beim Selbstbewusstsein – und zwar ganz wörtlich. Bin ich mir meiner selbst (und wie ich handele) bewusst? Welchen Einfluss habe ich mit meinem Handeln auf das große Ganze? Wie erziele ich Wirkung und womit? Führungskräfte, die wissen, welchen Impact sie ausüben, agieren wirksamer als die, die unreflektiert handeln. Die Sicherheit über die eigene Wirkung trägt maßgeblich zur Klärung der Sinnfrage bei. Ich ermuntere den CEO: „Verlangsamen Sie, schaffen Sie den Raum für Wirksamkeit – experimentieren Sie. Fünf Minuten täglich.“

Planen verboten

 

Nach acht Wochen bekam ich einen Anruf vom CEO: „Niemals hätte ich gedacht, dass fünf Minuten täglich eine solche Wirkung entfachen. Ich hab’ das tatsächlich diszipliniert gemacht – jetzt bin ich bereit für den nächsten Schritt.“

Inzwischen begleite ich den CEO seit zwei Jahren und das Unternehmen hat „Pause & Reflect“ in seine DNA übernommen. Die täglichen fünf Minuten macht der CEO immer noch und ermuntert seine Mitarbeiter, es ihm gleichzutun. Zudem gibt es zweimal pro Jahr „Pause & Reflect“-Tage, an denen das Board einfach nur Pause macht, reflektiert und hinterfragt. Planen verboten.