Mehr Mensch(eln) bitte!

Zugegeben – es gibt Branchen – da wird noch so richtig nach „alter Väter Sitte“ geführt. Mein Klient ist in so einer Branche groß geworden. Er selbst ist jung – gerade mal 34 – und schon Vorstand.
„Als Ingenieur ist mir ‚menscheln‘ fremd. Als Vorstand merke ich, dass ich mit meiner introvertierten und sachlichen Art die Mitarbeiter verliere. Jetzt planen wir eine Transformation im Unternehmen und ich möchte natürlich Vorbild sein. Bei den strategischen Themen gelingt mir das – bei den Führungsthemen spüre ich: Da geht noch was.“ Diesen Satz hatte mein Klient in der schriftlichen Auftragsklärung – im Vorfeld des f-2-f-Intensivtags – formuliert.

Heute haben wir acht Stunden Zeit. Basis für den Coachingtag ist sein LINC-Personality Profiler und seine intensive Vorarbeit während der Precoachingphase in den vier Wochen zuvor.

Dem eigenen Sein auf die Spur kommen

Die Ergebnisse seines LINC-Personality Profiler spiegeln klar sein Gefühl: Eine hohe soziale Rationalität verbunden mit einer sehr niedrigen Empathie, gepaart mit hoher Innenorientierung, großer sozialer Unabhängigkeit (d.h., ihm ist z.B. nicht wichtig, was andere von ihm denken) – dazu der höchste Wert bei “faktenorientierte Entscheidung“. Ein geringer Wert für “Sinn für Ästhetik“ machte den “Ingenieurs-Persönlichkeitscocktail“ für ihn komplett. Ein spannendes Detail, wie er selbst später für sich herausfindet.

Wir starten das Coaching mit der LPP-Analyse. Dazu entwickeln wir im ersten Schritt eine “Leitfrage“, die ihn durch die LPP-Analyse begleitet – analog zu seiner Herausforderung:

„Wie gelingt es mir, in der Interaktion mit meinen Mitarbeitern mehr zu ‚menscheln‘ und weniger im Ingenieurs-Mindset zu handeln?“

Durch den weiteren Coachingprozess leite ich ihn mit Fragen:

„Welche Situation fällt Ihnen ein, in der Sie mehr ‚menscheln‘ möchten?“ Der Klient überlegt nur kurz.

„Ich habe einen Mitarbeiter, der wirklich sehr leistungsstark ist. Ich mag den Mitarbeiter auch. Ich kenne ihn aber im Grunde überhaupt nicht. Wir arbeiten nur auf rein sachlicher Ebene zusammen. Er hatte jetzt Corona und war längere Zeit krank. Kam dann zwar gesund wieder zurück – ist aber nicht mehr so leistungsstark. Ich habe mich in der letzten Woche öfter über ihn geärgert und meinem Ärger auch Luft gemacht. Jetzt, wo wir reden, fällt mir auf, dass ich ihn nie gefragt habe, ob er noch mit Nachwirkungen zu kämpfen hat.“

Sein Verhalten in der Zukunft

„Wie möchten Sie sich in dieser oder einer ähnlichen Situation in Zukunft verhalten? Welches Verhalten möchten Sie in Zukunft zeigen, das Sie in der Vergangenheit nicht gezeigt haben?“

Hier geht es im Coaching nicht darum, irgendein Zielverhalten zu definieren, das perfekt ist. Es geht darum, über die Persönlichkeitsmerkmale, die im LINC-Personality Profiler aufgezeigt werden, herauszufinden: Was kannst DU tun – welches Verhalten passt auch zu Dir - was ist realistisch?

Der Klient denkt nach. Ich lasse ihm Zeit.

Was hat der Sinn für Ästhetik mit menscheln zu tun?

Das Erstaunliche im Coaching ist, dass Klienten – v.a., wenn man ihnen ausreichend Zeit lässt – häufig auf sehr unkonventionelle und gleichzeitig effektive Lösungen kommen. So auch diesmal.

„Ich sehe im LPP und kann das nur bestätigen, dass ich einen sehr niedrigen Sinn für Ästhetik habe. Das bedeutet ja, dass für mich Zweckmäßigkeit und Funktionalität stark im Vordergrund stehen. Meine Begeisterungsfähigkeit für Kultur oder ähnliche Themen hält sich in Grenzen. Das passt. Ich könnte hier mal rausgehen aus meiner Komfortzone und meinen Mitarbeiter bei seinen Interessen abholen. Die kenne ich ja gar nicht. Und – als faktenorientierter Mensch erkenne ich ja: Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ist faktisch ein wichtiges Führungsthema. Diese Erkenntnis hilft mir.“

„Wie gelingt es Ihnen, die Interessen Ihres Mitarbeiters zu erkunden? Was können Sie konkret tun?“ Mit dieser Frage bringe ich ihn dazu, Handlungsschritte zu entwickeln, um sein Ziel „mehr menscheln“ zu erreichen.

Über weitere Fragen und einen intensiven Gedankenaustausch entwickelt er die Idee, mit seinem Mitarbeiter “einfach mal lunchen zu gehen“. „Welche Ihrer Charakter-Facetten können Sie dabei unterstützen? Wie könnten Sie das Lunch vorbereiten?“

„Ich könnte meinen sehr hohen Altruismus ‚ausleben‘, wenn es um andere Menschen geht. Also meine Sorge um andere auch auf meine Kommunikation ‚ausweiten‘.“

Konkrete Umsetzung

„Wie genau würden Sie das umsetzen?“ Wir sammeln seine Vorschläge:

  • Aktives Nachfragen bzw. assoziatives Zuhören im Gespräch
    • Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
    • Brauchen Sie Unterstützung?
  • Empathie zeigen – einfühlen in den Mitarbeiter
  • Meine Bescheidenheit nutzen und Nähe schaffen auf Augenhöhe statt “von oben herab“ als Vorstand.
  • Meine hohe emotionale Stabilität nicht auf den Mitarbeiter “einfach“ übertragen.
  • Mitgefühl formulieren statt Kritik: „Ich mach mir Sorgen um Dich…“

Seine Ideen haben den Vorteil, dass sie übertragbar sind auf andere Mitarbeiter. So kann er die Situation mit diesem Mitarbeiter als “Role Model“ für sich nutzen. Wichtig ist, dass die Idee nicht in der Theorie des Coachingtags “hängen“ bleibt – deshalb frage ich ihn:

„Wie genau sieht Ihre Planung aus? Wann findet das erste Lunch statt?“ Sofort schaut er in seinen Kalender und den des Mitarbeiters und blockt einen ersten gemeinsamen Mittagstermin. Dass er den Termin selber “blockt“, statt seine Assistentin zu beauftragen, führt uns zum nächsten Thema: Weniger Micromanagement – mehr Delegation. Der achtstündige Intensivtag lässt uns ausreichend Zeit. Er gibt uns die Flexibilität auf unterschiedlichste Herausforderungen, die in seinem Vorstandsalltag anstehen, aktuell einzugehen und Lösungen zu finden.

Wie genau kennen Sie Ihre Persönlichkeit? Oder brauchen Sie wie mein Coachee eine Starthilfe? Dann kontaktieren Sie mich gerne. Ich freue mich auf Sie.

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