Humor in der Krise – ist lachen mitten in der Katastrophe erlaubt?

Meine Heimatstadt ist Ahrweiler

Meine Familie lebt dort. Meine Schwester schreibt auf Facebook: „Wir sind 30m an der Katastrophe ‚vorbeigeschrammt‘ – und fühlen uns doch mittendrin! Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen, gerochen, gefühlt, gehört, geatmet hat, kann man es nicht wirklich nachvollziehen. Ich bin Samstag mit dem Fahrrad durch die Straßen, um Trinkwasser und Brot zum Weingut Kurth zu bringen. Mittendrin sah ich mich selbst ‚von oben‘, wie in einem Nachkriegsfilm – das Fahrrad durch Trümmerberge schiebend, Ölgestank beißend in der Nase, Schubkarren-stemmende Frauen, verschlammte TK-Schränke wuchtende Männer, Menschenketten aus Kellern zur Straße mit Schlammeimern – voll hin und leer zurück, Generatorenbrummen, Blaulicht und Martinshorn, Hubschrauberknattern über den Köpfen... da wusste ich: So IST Krieg. Und jetzt? Aufräumen, Aufbäumen, Aufrichten... Wie soll das gehen? Das Leben scheint unerbittlich – es geht! Geht weiter! Jeden Morgen – ein neuer Tag... Ohne Zögern! Verlässlich. Beständig. Halt. Trost. Freunde – Hilfe. Fremde Hilfe. Aufräumen, Aufbäumen, Aufrichten... es geht... weiter!“

 

Wie mutig, habe ich mir gedacht! Wie viel Optimismus aus ihren Zeilen klingt. Es geht weiter! Aber: Wie geht es weiter? Wie verkraftet „Mensch“ die Katastrophe? Was lindert v.a. auch die seelische Not?

 

Darf man in der Krise lachen?

Dann erreichte mich der Anruf eines Freundes. Sein Elternhaus, in dem ich als Jugendliche viel Zeit verbracht habe, ist komplett zerstört. Sein eigenes Haus auch stark betroffen. Was er erzählte, war in mehrfacher Hinsicht kaum fassbar: „Wir haben fünf Tage und Nächte geschuftet, im Haus meiner Eltern die untere Etage komplett entkernt. Meine ganze Kindheit auf den Müll geschmissen und ohne Ende Schlamm und Matsch rausgetragen. Es waren die fünf anstrengendsten Tage, an die ich mich erinnern kann, aber auch die fröhlichsten. Wir haben unglaublich viel gelacht. 15 junge Menschen aus ganz Deutschland waren einfach gekommen, um uns zu helfen. Wir kannte viele von ihnen gar nicht. Wir hatten so viel Freude, haben Witze gerissen, das kannst Du Dir nicht vorstellen.“

 

 

Darf man wirklich lachen in der Krise? Ich gehe noch einen Schritt weiter: Darf man Witze machen? TikTok ist voll von ‚lustigen‘ Videos über ‚gestrandete‘ Autos und dramatische Situationen. Ist das lustig? Darf man wirklich Witze machen mitten in einer Katastrophe?

 

Ein mutiges Ja – sage ich. Nicht nur aus persönlicher Überzeugung. Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass Humor eine positive fast heilende Wirkung in Krisensituationen hat. Vorausgesetzt er ist erkennbar und nicht aggressiv. Klar ist auch, unter Angst oder Stress sinkt die Bereitschaft, Humor zu verstehen. Andererseits kann Humor helfen, auch die schlimmsten Situationen zu entspannen.

 

Fakt ist: Humor zeigt Wirkung und kann wohldosiert ein hilfreicher Begleiter in Krisen sein.

Einer der Pioniere der Humortherapie war der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl (1905-1997), der aufgrund seiner jüdischen Herkunft lange im Konzentrationslager saß und überlebt hat. In seinem Buch „…trotzdem JA zum Leben sagen“, berichtet er, dass er im KZ regelmäßig mit anderen Insassen zusammengesessen hat, um sich gegenseitig Witze zu erzählen. Er war überzeugt davon, dass ihm die Beschäftigung mit Humor das Leben gerettet und davor bewahrt hat, aufzugeben und verrückt zu werden. Aus seiner Erfahrung heraus begründete er Therapie-Formen, die auch humorvolle Momente und paradoxe Sichtweisen nutzen, um Menschen in Lebenskrisen zu begleiten. Frankl war überzeugt: „Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um die Selbsterhaltung.“ Witze zu reißen über eine Situation, die alles andere als witzig ist, schaffe Distanz zu eben dieser Situation. Neudeutsch nennt man den positiven Umgang mit Krisensituationen auch „Psychohygiene“. Psychologen sind überzeugt, dass es gesund und normal ist über eine beängstigende Situation Witze zu machen. Humor als Ventilfunktion. Auch wenn es nur für ein paar Sekunden oder Minuten ist. Humor kann weiterhelfen auch in der Katastrophe.

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