Führe mich nicht in Versuchung… Compliance & Weihnachten
Ein Thema, das nichts an Aktualität und Präsenz verloren hat. Auch in diesem Jahr ist wieder Weihnachten und die Versuchung Geschenke zu machen als ‚hilfreiche Aufmerksamkeit‘ steht vielerorts im Raum. Wie eine Führungskraft aus dem Teufelskreis ‚das machen wir schon immer so‘ und den damit verbundenen Bestechungen herausfand, lesen Sie hier:
Alle Jahre wieder klopft das schlechte Gewissen an die Tür.
Weihnachten ist für die meisten Menschen nicht nur die Zeit der Nächstenliebe, sondern vor allem die Zeit des Schenkens. Für manche Unternehmen bringt das Fest auch ein erhöhtes Risiko für Wirtschaftskriminalität bringt. Diese Risiken sind beispielsweise Bestechung, um höhere Verkaufszahlen während der lukrativen Weihnachtszeit zu erzielen, Korruption getarnt als Gastfreundschaft u.v.m. Gerade aktuell, wo viele Firmen unter Druck sind, gibt es auch entsprechend einfallsreiche ‚Schenker‘, die auf ‚ungewöhnlichen‘ Wegen versuchen, Ihre Margen/Umsätze zu verbessern. Im Compliance-Coaching, das ich zusammen mit der Rechtsanwältin Dr. Kathrin Niewiarra entwickelt habe (‚Balanceakt Compliance‘, fazbuch-Verlag) schildere ich Möglichkeiten, wie es gelingt, auch in scheinbar schwierigen Situationen, Versuchungen zu widerstehen:
Stellen Sie sich vor, Sie führen gerade ein wichtiges Gespräch, in dem Ihr Gegenüber, vielleicht Ihr Vorstandskollege oder ein wichtiger Kunde, Sie von einem unternehmerischen Schachzug überzeugen will, der nicht den Regeln entspricht, also nicht compliant ist. Irritiert von der Diskrepanz zwischen den Motiven, die Sie als Mensch bewegen – Ihre Werte auf der einen Seite –, und den geforderten Handlungsweisen – den Erwartungen des Gesprächspartners an Sie auf der anderen Seite –, ist Ihr Innenleben vielleicht widersprüchlich, Ihr persönlicher State* auf jeden Fall hochkomplex.
Eventuell sind Sie in einer ängstlichen Verfassung, einem beunruhigten State, da Sie ohne die geforderte Handlungsweise die vorgegebenen Margen nicht erreichen können. Oder Sie sind in einem ignoranten State, da Sie der Auffassung sind, dass sich doch jeder in der Branche oder auch in diesen schwierigen Zeiten die Regeln zurechtbiegt („Das macht doch jeder!“), oder Sie sind zweifelnd-ehrlich, indem Sie sich fragen: „Was passiert, wenn ich nicht zustimme?“. Vielleicht sind Sie auch in einem mutigen State („Ich mache da nicht mit!“). Am Ende ist aber auch eine Zusammenschau aller genannten Zustände möglich, dann sind Sie in einem „Patch- work-State“. Hier schreien förmlich unterschiedliche Gedanken nach Abwägung. Je nachdem, wie bewusst Sie Ihren State nun kontrollieren können, haben Sie Einfluss auf das Ergebnis. Oder aber anstatt Ihren eigenen State zu kontrollieren, lassen Sie sich von Ihrem Gegenüber lenken und stimmen dem Deal vielleicht zu, auch gegen Ihre Überzeugung. Sicherlich ist es daher umgekehrt von Vorteil, den anderen mit Ihrem Grundgefühl anzustecken, ihn mit Ihrer Reaktion, wie Sie den Deal aufnehmen, vom Gegenteil zu überzeugen. Die Frage ist: Wer kann seinen State besser kontrollieren und übernimmt damit die Macht im Gespräch?
Die Lösung
Bewusste State-Control trainieren, sodass man es während des Calls oder Meetings jederzeit einsetzen kann bzw. je nach Anforderung abrufbar hat. So kann z. B. ein Compliance-State zunächst trainiert und dann aktiviert werden, der in die Lage versetzt, offen und klar zu kommunizieren, dass man Deals dieser Art ablehnt. Dann wird auch das Gegenüber zumindest nachdenklich-zurückhaltend reagieren. Die innere Einstellung beeinflusst das Verhalten. So einfach ist das.
Im Executive-Coaching stelle ich zu Beginn die Wirkungskette vor, die einem State zugrunde liegt: Zunächst erzeugt ein bestimmtes Ereignis im Unterbewusstsein einen Gedanken. Danach gibt man diesem Gedanken eine Bedeutung. Daraus entwickelt sich eine Emotion, und die wiederum sorgt für ein bestimmtes Verhalten. Daraus resultiert der individuelle persönliche State. Der ist vor allem abhängig davon, welche Bedeutung man den Dingen gibt und welche Emotionen damit verbunden sind. Sie merken schon, es geht um eine aktive Handlung: SIE geben den Dingen ihre Bedeutung und beeinflussen damit die eigene innere Haltung durch Ihre Gedanken.
Fallbeispiel: …und führe mich nicht in Versuchung.
Nach meiner Erfahrung gibt es genau an dieser Stelle immer wieder große Aha-Erlebnisse. Eine meiner Coachees, eine Führungskraft in einem Versicherungskonzern, wurde seit Jahren immer wieder an Weihnachten mit einer Entscheidung konfrontiert, die nicht compliant war. Immer wieder entschied sie sich gegen ihre Werte und unterschrieb einem Mitarbeiter ihrer Abteilung die Genehmigung für ein teures Geschenk. Der Wert lag in einer Größenordnung, die weit außerhalb der Compliance-Richtlinien lag, dennoch war es im Unternehmen „Usus“ – ein Begriff, der in diesem Zusammenhang oft fällt. Immer wieder belastete sie dieser Vorgang. Sie war aber nicht in der Lage, zu dem Mitarbeiter, der seit Jahrzehnten im Unternehmen ein sehr gutes Standing hatte, Nein zu sagen. Zusammen mit anderen Vorfällen wurde der innere Druck irgendwann aber zu groß, so dass die Führungskraft mich kurz vor Weihnachten um Rat bat. Der Zeitpunkt war zwar zu kurzfristig, um mit nachhaltigen Techniken wie der Beobachter-Haltung zu beginnen. Trotzdem gab es eine Lösung: den kurzfristigen State-Wechsel.
Im ersten Schritt formulierte sie auf dem elektronischen Flipchart im Coachingraum die Bedeutung, die sie der Situation gab: „Wenn ich nicht unterschreibe, dann hält der Kollege mich für ein ‚Mädchen‘ statt für eine toughe Entscheiderin.“ Nachdem Sie den Satz aufgeschrieben hatte, las sie ihn laut vor. Sie fühlte sich sofort schwach. Die Bedeutung, die sie der Situation gegeben hatte, brachte sie in eine schwache Position. Ihre Erkenntnis: Sie wollte dazugehören, um tough zu wirken. Aus psychologischer Sicht stecken dahinter die beiden Urängste: die Angst, nicht genug zu sein, und die Angst, nicht geliebt zu werden. Diese Erkenntnis brachte für meine Klientin die Lösung. Die Bedeutung, die sie der Situation gab – in ihrem Fall war es die Angst, nicht gemocht zu werden –, war für sie der Schlüssel. Durch das State-Modell erkannte sie, dass sie selbst für diese Angst verantwortlich war, die es ihr nicht möglich machte, die Unterschrift abzulehnen. Im Executive Coaching analysierte sie zuerst ihre Werteskala und entwickelte dann eine neue Bedeutung für dieselbe Situation. Das so genannte Reframing lautete: „Ich bin die toughe Entscheiderin – ich stehe zu meinen Werten.“ Diesen Satz prägte sie sich ein, las ihn vor dem Treffen mehrfach durch und führte erstmals ein ablehnendes Erfolgsgespräch mit dem Kollegen. In diesem Sinne ist State-Control der gezielte und bewusste Umgang mit dem eigenen Bewusstseinszustand, der eigenen inneren Verfassung. Ziel ist es, ein bestimmtes, in unserem Fall ehrliches Grundgefühl, jederzeit abrufen & umsetzen zu können, zu verändern und an die Mitarbeiter weiterzugeben. Wer sein Gegenüber zu einem ehrlichen Gefühl führen will, der muss es vorleben. Soziale Ansteckung funktioniert auch im positiven Sinne. Die eigene Haltung, die ausgestrahlt wird, entspricht der Wirkung, die man auf seine Mitarbeiter oder Kunden hat. Von einer Führungskraft, die Integrität, Vertrauen und Unbestechlichkeit ausstrahlt, springt automatisch ein entsprechender Funke auf die Mitarbeiter über. Eine aufrichtige Einstellung ist die Basis für Führung, die compliant ist. State-Control kann jeder lernen. Auch Sie. Dahinter steckt das Zauberwort Tun – schon Goethe sagte: „Erfolg hat drei Buchstaben: Tun.
In der Praxis
Fragen Sie sich bei der nächsten schwierigen Situation, in der es um die Frage „compliant oder nicht-compliant?“ geht: Welche Bedeutung gebe ich den Dingen? Welche Emotionen stecken dahinter? Welche Wahlmöglichkeiten habe ich? Sie entscheiden über die Antwort! Und je nachdem, wie diese ausfällt, entwickelt sich anschließend Ihr State und daraus folgend Ihr Verhalten. Übernehmen Sie so die Verantwortung für Ihr Handeln!
Sie treffen eher eine Entscheidung, die compliant ist, wenn Sie in dem dazugehörigen State sind. Eine Einstellung, die es Ihnen ermöglicht, auch bei Gegenwind Ihre Werte und Prinzipien umzusetzen.
*Unter „State“ versteht man die Summe aller neurologischen und emotionalen Prozesse, die zu irgendeiner Zeit in einem Menschen entstehen. „State-Control“ ist die Fähigkeit unseres Gehirns, Emotionen im Alltag zu managen, und Teil jeder Entscheidung, die wir treffen.