Etwas mehr Katze bitte!

Workaholic – das Hamsterrad dreht sich unaufhörlich – zu hohe Komplexität ... ich musste fast selbst nach Luft schnappen, als mein Klient seine aktuelle Situation schilderte. „Das alles mündet in schlaflosen Nächten und mittlerweile Panikattacken“, gab er bereitwillig zu. „Tagsüber gerate ich inzwischen immer öfter in negative Gedankenschleifen. Jetzt hat mir mein ehemaliger Coach empfohlen: Think positive. Doch das gelingt mir nicht. Haben Sie eine Lösung?“


„Wann haben Sie das letzte Mal richtig entspannt? Ausgiebig Urlaub gemacht?“, frage ich ihn.

„Das liegt ca. vier Jahre zurück. Ich verantworte ein Startup – da bin ich auch im Urlaub gefragt – immer online und erreichbar. Das macht mir auch Spaß!“

Im Folgenden schildere ich, was ich dem Vorstand eines Start-ups in der Session mit auf den Weg gegeben habe:

Einfach mal nicht denken …

„Was Sie dringend brauchen, sind Erholungsphasen. Die neuere Forschung hat einen signifikanten Zusammenhang zwischen Stress und Erkrankungen festgestellt. Stress ist Einflussfaktor Nr. 1. Grundsätzlich ist unser Nervensystem entweder entspannt oder in Aktion. Es ist egal, was Sie denken – inhaltlich, unterscheidet das Gehirn nicht zwischen positiven oder negativen Gedanken. Wichtig ist, dass wir lernen, die negativen Gedanken auszuhalten und sie nicht überzubewerten, uns nicht hineinzusteigern bis zur Panikattacke. Das passiert z. B., wenn wir unsere Gedanken und Inhalte völlig zerlegen und uns dann in den Stresskreislauf hineinreden und denken. Damit das nicht passiert brauchen wir Erholungsphasen.“

Der Ansatz der Positiven Psychologie ist hier einerseits sehr hilfreich – andererseits schürt er eine sehr hohe Erwartungshaltung: „Du darfst das Negative nicht denken!“ ist eine große Herausforderung für viele Menschen und wird damit zum Stressfaktor. Niemand kann sich selbst anlügen. Wenn ich für eine Prüfung nicht gelernt habe und daraufhin Angstgefühle entwickle, es nicht zu schaffen, hilft das positive Denken gar nichts. Hier ist die Erwartungshaltung viel zu hoch, dass wir uns die Dinge „einfach“ schön und richtig vorstellen – das ist ein großer Trugschluss und damit grundsätzlich kein gutes Management für negative Gedanken.

Etwas mehr Katze bitte – was wir von ihnen lernen sollten.

Unser Gehirn funktioniert immer über das Stresssystem – egal ob positiv oder negativ. Entscheidend ist, welchem Gedanken Sie ganz bewusst Priorität geben und in was Sie sich hineinsteigern. Sobald Sie sich auf das Negative fokussieren, wird im Gehirn der Stresskreislauf aktiviert. Sobald Sie loslassen, kann das Entspannungssystem übernehmen.

Lassen Sie mich dazu folgende Analogie aus dem Tierreich erzählen: Eine Katze wird von einem Hund bedroht – die Katze faucht den Hund an – das ist ihre Überlebensstressreaktion – der Hund bellt zurück. Fünf Minuten später ist der Konflikt vorbei. Was macht die Katze? Sie denkt NICHT: Ich muss auf der Lauer liegen, der Hund könnte wieder kommen! Nein – die Katze legt sich nach der Auseinandersetzung entspannt in die Sonne. Diese Situation verdeutlicht, was im Stresskreislauf passiert. Die Katze zerlegt nicht alles in Einzelheiten – was ist, wenn der Hund wiederkommt? Stattdessen ist sie direkt im Anschluss tiefenentspannt. Sie denkt über das Ganze nicht mehr nach.

So hat die Natur ursprünglich unser Stress-System angelegt: Wenn eine Bedrohung da ist, muss es funktionieren. Wenn die Bedrohung weg ist, folgt die Entspannung. Das ist auch beim Menschen grundsätzlich so. Wenn wir einen Konflikt haben – der Kollege kritisiert uns oder eine geschäftliche Situation ist problematisch (z. B. die Energiepreise explodieren, die Lieferkette ist unterbrochen, der Krankenstand ist extrem hoch) – dann springt automatisch unser Stresssystem an. Wir fühlen uns in dieser Situation etwas so, wie die Katze, die vom Hund bedroht wird. Anders als die Katze erholen wir uns aber nicht sofort danach bis zur nächsten Situation, sondern gehen weiter in den Konflikt oder suchen nach Lösungen. Darüber hinaus ist unser Gehirn in solchen Situationen immer superkreativ. Aus der kleinsten Krise entwickeln wir im Kopf das größte Horrorszenario.

Die Lösung

Erster Schritt: Gefühl zulassen, akzeptieren und annehmen, wie es ist.

Damit senden wir das erste Beruhigungssignal an unser Nervensystem. Der Alarm im Gehirn wird durch den Sympathicus ausgelöst. Der ist im Gehirn dafür zuständig, dass Sie achtsam sind, wenn Sie über die Straße gehen und bei Gefahr zurückspringen. Diese Reaktion passiert automatisch. Unser Nervensystem mobilisiert in der Gefahrensituation alles automatisch. Demgegenüber steht das körpereigene Entspannungssystem – der Parasympathicus. Der versetzt uns – theoretisch genauso automatisch – in den entspannten Zustand. So zumindest die Idee der Natur – siehe Katze. Wenn wir aber gedanklich an der Negativspirale festhalten und die Horrorszenarien weiterspinnen, kann sich das System nicht beruhigen. Der Entspannungsnerv (Parasympathicus) wird nicht aktiviert. Das System meldet: Halt, hier droht wirklich Gefahr – Du musst weiter achtgeben – Dich schützen. Damit kommt das Stresssignal zurück an unser emotionales Zentrum: „Das könnte wirklich lebensbedrohlich sein.“ Die Folge ist, dass wir in der Anspannung bleiben – anders als die Katze.

Zweiter Schritt: Entscheidung treffen

Die gute Nachricht: Wir Menschen haben beide Fähigkeiten! Wir können uns in einen Gedanken hineinsteigern oder wir entspannen uns. Anders als die Katze können wir das aktiv entscheiden – jedes einzige Mal. Dass unser emotionales Zentrum z. B. bei Kritik oder Problemen reagiert geschieht automatisch. Dass dann ein Bedrohungsgefühl aufkommt – auch das ist ein Automatismus, den wir nicht beeinflussen können. Was Sie dagegen entscheiden können ist, wie Sie mit der Situation umgehen. Fragen Sie sich: Gebe ich dem Gedanken / Gefühl jetzt Aufmerksamkeit oder mache ich das nicht? Versuche ich, in die Entspannung reinzugehen oder nicht? Sobald die Entscheidung getroffen ist, bringt Sie der Parasympathikus automatisch in die Entspannung – entscheidend ist, dass Sie es zulassen. Der Sympathicus und Parasympathicus sind übrigens Antagonisten – es kann immer nur einer aktiv sein.

Dritter Schritt: Gedanken neubewerten

Leichter gesagt als getan sagen Sie jetzt? Es gibt Techniken, die Sie dabei unterstützen, die Entscheidung für die Entspannung zu fällen. Eine Technik ist die Neubewertung der Gedanken. Grundsätzlich ist die Bewertung unseres Stresses die Ursache dafür, ob wir unter dem Stressfaktor (Konflikt, Problem, Angst etc.) leiden oder nicht. Der Stressfaktor an sich ist zunächst neutral, erst unsere Interpretation macht ihn für uns bedrohlich oder nicht. Durch Reflexion lassen sich Stresssituationen neu bewerten und dadurch transformieren.

Neubewertung – eine praktische Übung

St. John & Haines (2017) schlagen einen pragmatischen Einstieg vor: Nehmen Sie eine Karte, auf der Sie den Reiz beziehungsweise die stressende Situation beschreiben. Anschließend drehen Sie die Karte um und beschreiben die Situation aus einer neuen Perspektive. Aus einer Energiekrise wird eine Chance für ein neues Geschäftsmodell. Aus einer Terminabsage entsteht ein „Zeitdiamant“ für Sie. Ein Konflikt beinhaltet die Möglichkeit zur Klärung wichtiger Themen etc. Diese einfache Übung kann die Dinge in ein neues Licht rücken und bei der Bewältigung von Stresssituationen helfen. Für komplexere Situationen und intensive Stressoren gibt es weitere Techniken – wie z.B. Atemtechniken.

Das Ziel der Neubewertung ist, auch negative Gefühle und Handlungen in einen Vorteil für Sie zu wandeln. Durch die Neubewertung ergeben sich neue Konsequenzen. An die Stelle von Selbstzweifeln und Ängsten treten Motivation und Mitgefühl. Ein einfacher Wechsel der Perspektive kann in kürzester Zeit so Überforderung in Zufriedenheit wandeln.

Mehr zu mir und weiteren spannenden Themen finden Sie unter www.dorettesegschneider.de.

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