dosis facit venenum

„Mich irritiert, dass sie gar nicht spürt, wie sie wahrgenommen wird. Sie erschlägt uns gerade mit ihren Ideen. Genau genommen baut sie auch jede Menge Luftschlösser – völlig an der Praxis vorbei. Sie hat überhaupt kein Gespür dafür, dass sie nicht respektiert wird. Sie ist z. B. eine der Hauptpersonen, die das ERP-Projekt an die Wand gefahren haben – sie merkt das nicht. Sie liefert und produziert immer weiter. Super zäh – nicht vom Weg abzubringen – das irritiert mich bei ihr. Sie muss doch die Schwingungen wahrnehmen. Andererseits ist sie ein echtes Brain, das wir unbedingt in der Firma halten wollen. Das klare Ziel für’s Coaching ist: Mehr Sensibilität anderen gegenüber.“

Leistung, Leistung, Leistung

Der Anruf, der mich vom Firmeneigentümer erreichte, war hoch emotional. Die Mitarbeiterin – eine Direktorin aus seinem Team – inhaltlich ein Juwel, aber offensichtlich ohne jedes Gespür für ihr Umfeld. Mit dieser Info und einer darauffolgenden Auftragsklärung starten wir ins Coaching. Basis der Coachingreise war der LPP. Schnell wurde klar, wo ‚der Hase im Pfeffer liegt‘: Die Direktorin hatte Leistung im ‚Doppelpack‘ in ihrem Charakter. Einerseits war sie maximal leistungsorientiert (7) und zum anderen maximal leistungsmotiviert. Sie liebt es, sich mit anderen im Wettkampf zu messen und das Gefühl, diesen Wettkampf zu gewinnen. Dafür ist sie bereit, alles einzusetzen. In ihrer anschließenden Reflexion zur Leistungsorientierung kam sie zunächst der Ursache und dann der Lösung auf die Spur:

„Ich "messe" mich innerlich bei nahezu jeder Aktivität: Als kleines Mädchen z. B. wollte ich "Mini Miss" im Robinson Club werden (eine Art Mini-Olympiade): Ich habe heute noch die Goldmedaillen von damals und spüre nach wie vor, wie stolz ich war, die größeren "besiegt" zu haben

  • In der Schule beim Geräteturnen habe ich immer Figuren geturnt (turnen wollen), die nicht mehr auf dem Lehrplan standen. Nur um am Ende eine andere Choreo als die anderen zu tanzen
  • Ich wollte nicht nur Joggen gehen, sondern gleich Triathlon laufen und hier direkt zu den besten Amateuren gehören. Nicht nur mitmachen.
  • Auch in der Freizeit – egal, was ich tue – sei es einfach nur kochen. Wenn ich für Freunde koche, will ich es besonders "toll" machen – z. B. das Steak exakt so braten wie im Restaurant, einen perfekten Espresso zubereiten, den ich aufs Milligramm abwiege und die Zeit stoppe, die er aus der Maschine läuft.

Ich kann defacto nicht einfach etwas tun. Im Kopf geht´s bei mir sehr schnell um das "wie" gut ich es mache.“

Ich frage nach: „Zunächst einmal wünschen sich Arbeitgeber ja Mitarbeiter, die hochleistend sind. Was stört Dich an Deiner Leistungsorientierung und wie glaubst Du, wirkt sie auf Dein Umfeld – Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen?“

„Mein innerer Druck lässt mich verkrampfen, macht mich verwundbar, wenn andere mein Streben nach Anerkennung und Leistung sehen und ausnutzen. Es kann zudem für meine Mitarbeiter und auch Kollegen anstrengend werden.“

„Möchtest Du Dich von Deinem Leistungsmotiv in Zukunft mehr oder weniger leiten lassen als bisher?“

„Grundsätzlich mag ich es eigentlich, dass ich nach maximaler Leistung strebe. Ich würde es gerne "dosieren" und kanalisieren: Nicht immer ist Höchstleistung wichtig und richtig, aber in bestimmten Situationen umso mehr. Wenn ich es zielgerichtet nutze und parallel entspannter damit umgehe, fände ich es sehr gut.“

Die Dosis macht das Gift …

Gemeinsam entwickeln wir während des 6-stündigen Intensivtags einen Leitfaden, der sie bei ihrem Ziel unterstützt, ab sofort ihre Leistungsorientierung im Alltag zu dosieren und zu kanalisieren:

1. Schritt: Gehe im Alltag in die Beobachterhaltung.

Spüre in Dich hinein, was Leistung mit Dir macht. Entwickle ein Gefühl für Dich selbst – spür in Dich hinein, was in Dir liegt und möglicherweise unsichtbar / verborgen ist.

Wenn Anerkennung für Dich eine wesentliche Motivation ist – frage Dich: Wer möchte ich sein, wenn ich ganz alleine bin / wenn mir keiner zuschaut?

Frage Dich: Was konkret kann ich mir selbst erlauben, was mein Leben entspannter macht? Wie könnte es mir gelingen, ein achtsameres Leben zu führen oder mir selbst besonders nahe zu sein? In welchen Situationen will ich handeln und Leistung zeigen? Welchen Menschen gegenüber bzw. in welchen Situationen sollte ich meine Leistungsorientierung dosieren / kanalisieren?

2. Schritt: Welches Tool / welche Metapher könnte Dir bei der Dosierung helfen?#

Meine Klientin entwickelte ein gedankliches Thermostat mit einer Skala von 1-10, mit dem sie ihre Leistung dosieren kann. Kombiniert mit dem Vorhaben, vor jeder Aktion sich selbst bewusst zu machen, wie viel Leistungsorientierung sie investieren möchte.

Welches Tool könnten Sie sich vorstellen?

3. Schritt: Umsetzung
Konkrete Integration des 'Dosierungs-Tools' in den Alltag.

Meine Klientin verknüpfte die Thermostat-Idee ganz konkret mit einem to do: Erstellen einer ppt für das bevorstehende Boardmeeting. Dazu ging sie zunächst in die Beobachterhaltung – stellte dann gedanklich ihr Leistungsthermostat auf 6 / 10 mit dem Ziel, statt bisher 50 Seiten nur 2 Seiten komprimiertes, gut nachvollziehbares Wissen abzuliefern.

Gerne teile ich hier noch das Feedback, das die Klientin mir zum Intensivtag gegeben hat:

„Der ganze Tag war so gestaltet, dass ich mich "wohl" und gut aufgehoben gefühlt habe. Gleichzeitig aber mit der entsprechenden Distanz, die sein muss, um auch kritisch zu arbeiten. Ich hatte den Eindruck, dass du dich "intensiv" mit meinem Profil auseinandersetzt und mir entsprechend wertvolle Tipps und Feedback geben kannst. Ich hatte eben nicht den Eindruck "yet another client" zu sein. Alleine das Gefühl ist cool. :)“

Schon zwei Wochen später – nach der ersten Präsentation – erreichte mich auch ein Feedback des Eigentümers: „Danke für Deine abermals wertvolle Begleitung. Ich beobachte in den vergangenen Wochen eine Entwicklung bei ihr, die ich sehr positiv finde: Klarere, direkte und verständlichere Kommunikation ihres wertvollen Know-hows, gute Teamarbeit mit den Kollegen und ein pragmatisches Vorantreiben von notwendigen Entscheidungen. Genauso, wie wir es uns wünschen.“

Mehr zu mir und weiteren spannenden Themen finden Sie unter www.dorettesegschneider.de.

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