Der Souverän und der Schatten: alte Muster treffen auf große Bühnen

Karsten C., CEO und Eigentümer eines sehr erfolgreichen mittelständischen Unternehmens, gilt in seiner Branche als „der Souverän“ – in Verhandlungen, im Alltag und als Verbandspräsident auf Bühnen. Doch als er ins Coaching kam, war die Bühne diesmal eine andere: „Ich bin eingeladen, in New York vor 500 Top-Entscheidern zu sprechen – eine Zielgruppe, die für mein Unternehmen strategisch extrem wertvoll ist. Alle denken, ich mach‘ das mit links. Aber ich habe schlaflose Nächte.“

„Ich dachte, das Thema ist durch. Aber es holt mich wieder ein.“

Was ihn verunsicherte, war nicht die Bühne selbst – sondern ein altes Erlebnis. Zehn Jahre zuvor hatte er während eines Vortrags eine Panikattacke gehabt. Seitdem hatte er unzählige souveräne Auftritte. „Ich dachte, das ist Vergangenheit. Ich habe ja auch danach viele Reden gehalten, ganz entspannt. Doch jetzt, bei der Vorbereitung, kommt das alte Gefühl zurück. Plötzlich ist es wieder da.“

 „Was genau passiert, wenn Sie sich heute mit dem Gedanken an den Auftritt beschäftigen?“, wollte ich von ihm wissen.

Er antwortete: „Ich merke, dass sich mein Körper anspannt. Ich denke an die Situation – und sofort bin ich drin: Herzklopfen, flache Atmung, der ganze Film läuft wieder ab. Ich weiß, dass es irrational ist – aber ich komme aus der Schleife einfach nicht raus.“

„Die eigentliche Gefahr ist nicht der Vortrag – es sind die 22 Tage davor.“

Wir erarbeiteten gemeinsam: Nicht der Moment auf der Bühne ist das Problem, sondern seine Vorstellung davon. Sein Film im Kopf. Die Geschichte, die er sich immer wieder erzählt. „Was wäre, wenn Sie den Film in Ihrem Kopf nicht mehr anschauen?“, fragte ich ihn.

Er lachte. „Dann wäre es einfach ein Vortrag, auf den ich mich freue.“ Genau hier setzten wir an. Wir arbeiteten mit einer bewussten Gedankenstopp-Technik. Sobald der Gedanke auftaucht, sollte er konsequent nicht in die negative Gedankenschleife einsteigen. Keine Diskussion, keine mentalen Beruhigungsversuche nach dem Motto: ‚Das schaffst du schon‘. Sondern innerlich ein ganz klares & konsequentes „Nein, nicht jetzt“. Weiterdenken, vor allem ein negatives, verboten.

Wir formulierten einen Satz, den er in sich verankerte – sobald der Gedanke, die Ängste – insbesondere in der Nacht – aufkommen: „Nein. Nicht jetzt. Ich beschäftige mich mit dem Vortrag erst, wenn ich mich vorbereite.“

Diese Haltung veränderte viel in ihm. Sie brachte Führung zurück in sein System und Kontrolle durch die klare Entscheidung, das Grübeln abzustellen – statt ständiges Nachdenken.

Die äußeren Umstände: Müdigkeit, Zeitverschiebung, Erwartungsdruck

Der Vortrag war eingebettet in ein anspruchsvolles Setting: Am Vortag hatte er noch einen geschäftlich relevanten Termin in Deutschland, dann ging es direkt in den Nachtflug nach New York. Ankunft um Mitternacht. Sechs Stunden Zeitverschiebung. Um 10 Uhr am nächsten Morgen sollte er auf der Bühne stehen.

„Was davon können Sie beeinflussen – und was nicht?“, fragte ich ihn.  Er erkannte: „Die Anreise nicht. Die Müdigkeit wahrscheinlich auch nicht. Aber ich kann verhindern, dass ich in diesen 22 Tagen vorher schon erschöpft bin, weil ich gedanklich ständig dort bin und mir vorstelle, wie schwierig es wird.“ Darauf bauten wir seine Vorbereitung auf: Neben dem ‚Gedanken-Stopp‘ plante er klare Zeitfenster ein, in denen er den Vortrag vorbereitete – und ebenso klare Zeitfenster, in denen er nichts dazu tat oder dachte. Konzentration durch bewusste Begrenzung.

500 Menschen? Nein – 500 Einzelpersonen

Ein Schlüsselmoment entstand, als wir über die Masse des Publikums sprachen. Er sagte: „Wenn es nur ein oder zwei wären, wäre es mir völlig egal. Aber 500? Da stehe ich plötzlich wieder im Scheinwerferlicht.“

Ich fragte: „Wann genau wird aus zwei Menschen eine bedrohliche Masse – und warum?“ Er dachte nach. „Eigentlich ab dem Moment, in dem ich sie als Kollektiv sehe. Als Prüfung. Als Wand.“ Im Coachingprozess entwickelten wir ein neues Bild: 500 Einzelpersonen. 500 Möglichkeiten für Verbindung. Keine Prüfung, sondern ein Raum, in dem er seine Erfahrung teilen kann.

Die Frage nach der Rolle: Wen bringe ich da eigentlich auf die Bühne?

Der CEO ist 60 Jahre alt. Auf der Bühne würde man seinen beeindruckenden Lebenslauf sehen – seine jahrzehntelange Erfahrung, Führungsverantwortung, Erfolg. Doch innerlich regte sich ein ganz anderer Teil. In einem ruhigen Moment sagte er: „Ich habe das Gefühl, es steht nicht der 60-Jährige da – sondern der kleine Karsten, den als Kind keiner mochte. Ohne jedes Selbstbewusstsein.“ Diese Aussage veränderte die Perspektive. Es ging nicht nur um einen Vortrag – es ging um eine tiefere Identitätsfrage: Wer bin ich, wenn ich sichtbar werde? Und welcher Teil von mir steht dann im Scheinwerferlicht?

 „Was wäre, wenn nicht Ihre Vita spricht – sondern der Mensch, der all das durchlebt hat?“, schlug ich vor, um ihm dabei zu helfen, diese Hürde zu überwinden. Er schwieg kurz und reflektierte anschließend: „Dann darf ich wahrscheinlich echt sein. Dann zählt nicht, wie souverän ich auftrete – sondern wie sehr ich ich bin.“ Wir sprachen über das innere Kind – und darüber, wie oft es sich noch meldet, wenn wir in exponierten Situationen stehen. Nicht, um zu sabotieren. Sondern, weil es gesehen werden will.

Sein nächster Satz brachte es auf den Punkt: „Vielleicht könnte genau das mein stärkster Moment werden – dass ich heute als erwachsener Mann mit all meiner Geschichte auf dieser Bühne stehe. Und nicht so tue, als wäre ich unverwundbar.“ So entstand neben einem sicher präsentierten Vortrag auch eine neue innere Erlaubnis: „Ich muss nicht jemand anderes werden, um zu überzeugen. Ich darf ich sein. Und genau darin liegt meine Wirkung.“

Der LINC Personality Profiler als Spiegel: Innenorientierung verstehen und neue Wege finden

Im Hintergrund begleitete ihn der LINC Personality Profiler, ein wissenschaftlich fundiertes Instrument zur Persönlichkeitsanalyse. Die Auswertung zeigte ein klares Muster: Eine ausgeprägte Innenorientierung, verbunden mit einer hohen Sensibilität für Erwartungen – und einem niedrigen Selbstwertgefühl, das im Außen kaum sichtbar ist, im Inneren aber umso stärker wirkt.

Dieser Selbstwertkonflikt zeigte sich nicht in offener Unsicherheit, sondern in subtilen Gedanken wie: „Werde ich wirklich genügen?“, oder „Was, wenn sie sehen, dass ich mich nicht sicher fühle?“. Es ist eine innere Haltung, die nach Perfektion strebt, weil sie nicht gelernt hat, in der eigenen Unvollkommenheit Halt zu finden.

Also fragte ich: „Was wäre, wenn Ihre Haltung und nicht Ihre Leistung Ihr größter Beitrag an diesem Tag wäre?“ Er hielt inne. Dann sagte er: „Dann dürfte ich echt sein. Dann müsste ich nichts beweisen – sondern nur da sein.“

Genau hier lag der entscheidende Hebel: Der Profiler half, Muster zu erkennen – und darüber hinaus öffnete er einen neuen Raum für Selbst-Mitgefühl. Für die Erlaubnis an sich selbst, nicht perfekt zu sein. Für die Idee, dass Authentizität manchmal mehr Wirkung entfaltet als jede brillante Argumentation.

Denn: Wer gelernt hat, sich immer über Leistung zu definieren, verliert leicht den Kontakt zu sich selbst. Diese Erkenntnis veränderte alles und wurde zur inneren Bühne, bevor die äußere betreten wurde.

Souveränität beginnt dort, wo wir uns nicht mehr verstecken

Diese Session war keine Vorbereitung auf einen Vortrag. Sie war vielmehr eine Rückkehr zur inneren Haltung. Der CEO erkannte: Nicht die Angst war das Problem, sondern der alte Reflex, sie zuzulassen und sich von ihr kleinmachen zu lassen.

Wahre Souveränität beginnt nicht auf der Bühne, sondern im Umgang mit sich selbst. Nicht im Applaus – sondern in der Stille davor. „Ich bin nicht perfekt. Aber ich bin bereit.“ Das ist Führung. Von innen.

Take-aways:

  • Denken ist kein Probenersatz. Wenn das Kopfkino beginnt, bewusst aussteigen. Nicht verhandeln. Entscheiden.
  • Ihre Gedanken brauchen Führung. Nicht jede innere Stimme ist Ihre Wahrheit. Aber jede innere Entscheidung ist Ihre Verantwortung.
  • Sie müssen nicht makellos sein. Wirkung entsteht durch Präsenz, besonders in Momenten der Unsicherheit.
  • Zeigen statt performen. Menschen wollen Echtheit, keine Inszenierung. Wer sich zeigt, schafft Verbindung.
  • Führen beginnt innen. Begegnen Sie sich selbst mit Klarheit, geben Sie auch im Außen Orientierung – auf Bühnen, in Teams, in schwierigen Zeiten.

Wenn auch Sie vor einer entscheidenden Phase stehen – sei es eine Bühne, ein Strategiewechsel oder ein neues Kapitel – schreiben Sie mir. Gemeinsam schaffen wir die Klarheit, die trägt.