Buzzword oder Schlüsselkonzept? Was hat Agilität mit emotionaler Intelligenz zu tun?

„Wollen Sie meinen Vortrag wirklich ‚Emotionale Intelligenz‘ nennen? Das ist doch das absolute Buzzword. Lassen Sie uns nach einem Titel suchen, der anziehender, der ‚spicy‘ ist!“, war meine spontane Reaktion. Die Agile Coach, die mir virtuell gegenübersaß, guckte fast schon verdutzt: „Nein wirklich nicht – Emotionale Intelligenz das ist doch genau das, was wir in unserem Unternehmen dringend brauchen! Ich bin mir sicher, Ihr Vortrag wird bei dem Titel voll sein!“

Mir ging diese Reaktion – zugegeben – runter wie Öl und ja, Emotionale Intelligenz ist nicht nur das Basismodell, mit dem ich täglich arbeite – es ist, davon bin ich zutiefst überzeugt, genau das, was Unternehmen dringend brauchen.

Anforderungen an das Konzept der Emotionalen Intelligenz – Anwendung in der Praxis

„Die Emotionale Intelligenz ist genau das, was vielen Leads fehlt. Wenn es gelingt, das Bewusstsein dafür zu schärfen – wäre das schon ein mega Schritt nach vorne! Die emotionalen Softskills sind so wichtig. Wenn Du emotionale Intelligenz nicht mitbringst, ist es schwierig, dass Dein Team Dir folgt. Wir haben viele in unserem Unternehmen, die das nicht kennen. Die sind noch ‚old school‘. Viele können nicht loslassen, können die Autonomie, die wir über die agilen Konzepte integriert haben, den Teams nicht geben.“ so die Agile Coach weiter. „Die agile Kultur wurde bei uns ‚bottom up‘ eingeführt. Erst die Teams – dann die Führungskräfte. Da fühlen sich viele Führungskräfte jetzt vor den Kopf gestoßen – nicht mitgenommen. Wir würden gerne wissen – was verbirgt sich überhaupt hinter dem Modell der Emotionalen Intelligenz.“  

Daniel Goleman hat in den 90iger-Jahren die Emotionale Intelligenz populär gemacht. Für ihn ist sie „die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle und die der anderen zu erkennen, uns selbst zu motivieren und gut mit Emotionen in uns selbst und in unseren Beziehungen umzugehen.“

Emotionale Intelligenz und Agilität haben mindestens eine Gemeinsamkeit: Beides sind Buzzwörter dieser Zeit. Und eine zweite Gemeinsamkeit: Unternehmen brauchen beides, um weiterhin überleben zu können. Denn Unternehmen müssen agil bleiben (oder werden) und emotional intelligent sein (oder werden), wenn sie ihr Überleben sichern wollen.

Agilität fordert die Unternehmen aus ihrer Komfortzone herauszukommen, gewohnte Pfade zu verlassen und Neues zu entwickeln. Ein wichtiger Anker ist die Emotionale Intelligenz:

Das Modell basiert auf fünf Stufen:

1. Selbstwahrnehmung
2. Selbstregulation
3. Motivation
4. Empathie
5. Soziale Kompetenz

Auf die Bühne: Selbstwahrnehmung schärfen – Hinterbühne entdecken

So banal es klingt, die erste Aufgabe im Konzept der Emotionalen Intelligenz heißt: Wahrnehmen lernen! Wahrnehmen, was genau möchten Sie verändern? Wo ist der Sand im Getriebe? Was stört Sie? Warum stört es Sie? Was macht das permanente Störgefühl mit Ihnen? Was genau löst es in Ihnen aus? Wie fühlt es sich an? Wodurch wird das Störgefühl befeuert? Wann wird das Störgefühl weniger? Es geht u.a. darum, die so genannte Hinterbühne zu entdecken. Der Hintergrund: Unser Verhalten und unsere Kommunikation (‚Vorderbühne‘) werden ganz entscheidend durch innere Prozesse (‚Hinterbühne‘) gesteuert. Auf der ‚Hinterbühne‘ geht es immer darum, welche Emotionen, Interessen und Bedürfnisse z.B. in einer Gesprächs- oder Konfliktsituation involviert sind und was sie in unserem Verhalten und in unserer Kommunikation auslösen. Wenn wir die Dynamik auf der Hinterbühne verstehen, können wir unser Verhalten entsprechend ausrichten. Jeder von uns bringt in ein Gespräch (s)eine Hinterbühne mit ein. Wer sein persönliches Kommunikationsverhalten weiterentwickeln möchte, braucht deshalb im ersten Schritt ein Bewusstsein darüber, was sich auf seiner/ihrer eigenen Hinterbühne abspielt bevor er/sie auf die Hinterbühne des Gegenübers reagiert. Schlüssel dazu ist die Selbstwahrnehmung. So gelingt es, Emotionen nachzuspüren und die dahinter liegenden Bedürfnisse zu erkennen. Frei nach dem Motto: ‚Gefahr erkannt – Gefahr gebannt‘ ist die Selbstwahrnehmung der erste und wichtigste Schritt.

Der zweite Faktor – die Selbstregulation – baut auf dem ersten auf, denn nur, wer seine eigenen Gefühle wahrnimmt, kann angemessen darauf reagieren. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass wir unsere Gefühle selbst steuern können und unbewusst stets gleich reagieren wie bei unseren Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wer es schafft, seine Entscheidungen unabhängig und situationsspezifisch zu treffen und sich z.B. nicht von blockierenden Emotionen fehlleiten zu lassen, fällt bessere Entscheidungen. Gute Führung beginnt genau hier, mit der Fähigkeit des Einzelnen, Orientierung in sich selbst zu finden. Bei der Selbstregulation geht es u.a. darum, wie man die Emotionen und Bedürfnisse so artikuliert, dass man mit der Kommunikation Räume öffnet und dem Gespräch eine hilfreiche Dynamik gibt, anstatt in festgefahrenen Kommunikationsmustern zu verharren.

Der dritte Faktor der Emotionalen Intelligenz, die Motivation, könnte auch als Begeisterungsfähigkeit oder Leidenschaft beschrieben werden. Es geht um die Fähigkeit, sich persönliche Ziele zu setzen, Freude an einer Arbeit zu finden und auch langfristig motiviert zu bleiben. Dies ist übrigens auch das Erfolgsgeheimnis eines jeden erfolgreichen Sportlers.

Eine hohe emotionale Intelligenz schließt auch ein hohes Maß an kognitiver Empathie ein, dem vierten Faktor. Empathie beschreibt die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen wahrnehmen und nachfühlen zu können sowie angemessen darauf zu reagieren, z.B. über analytisches Zuhören. Gerade im Berufsleben ist es oft noch unüblich, seine Gefühle gegenüber den Kollegen in Worte zu fassen und wird oft als ‚soft‘ verkannt. Das Gegenteil ist der Fall: Wer klar und deutlich seine Emotionen – also z.B. auch den eigenen Unmut über eine Situation – anspricht, bringt Klarheit und Transparenz in die Kommunikation. Zudem kann ein emotional intelligenter Mensch z.B. die Gestik, Mimik, Haltung und den Klang der Stimme seines Gegenübers wahrnehmen lernen. Wissenschaftliche Tests belegen zudem: Empathische Menschen sind beliebter, erfolgreicher und emotional stabiler.

Die sozialen Fähigkeiten als fünfter Faktor der Emotionalen Intelligenz sind als Reaktion auf die Empathie zu verstehen. Man weiß nun, wie sich das Gegenüber fühlt. Sozial kompetenten Menschen fällt es dann leichter, souverän zu reagieren. Sie tun sich auch leichter mit der Aufnahme und Pflege von Beziehungen. Eine wichtige Eigenschaft in Zeiten, in denen Networking ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.

Ergebnis: Basis für erfolgreiche, agile Prozesse

Das Ergebnis nach einem Training der Emotionalen Intelligenz ist tiefgreifend: Allein die Erfahrung, wie wertvoll das Erlernen von Selbstwahrnehmung für den Führungsalltag ist, bereichert meine Klienten immer wieder. Die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und die der Mitarbeitenden zu erkennen und souverän mit den eigenen Emotionen sowie mit denen der anderen umzugehen wirkt gerade in agilen Teams wie ein Booster. „Wir haben ‚fliegen‘ gelernt, dank Emotionaler Intelligenz“, das war das schönste Feedback von einem Vorstand zum Abschluss unserer Zusammenarbeit.