Brillenwechsel bitte!

Die rosarote Brille kennen wir alle. Wir verlieben uns und sind blind für mögliche (später auftauchende ;-)) Schwächen des anderen. Meine Klientin kannte diese Brille nur allzu gut. Sie war gerade frisch verliebt! Das Thema im Coaching war ein ganz anderes: Wie gelingt es ihr, in der neuen Position als Direktorin in einer rein männerdominierten Managementrunde selbstbewusst aufzutreten? Definitiv nicht mit dem Blick durch die rosarote Brille.

Die ist nur eine von vielen Brillen, die wir im Alltag „tragen“. „Brille“ ist dabei letztendlich nur ein Synonym für unsere Wahrnehmungsfilter, wie wir über bestimmte Themen denken, sie interpretieren und wahrnehmen. Jede Brille steht für einen Glaubenssatz. Im Beispiel meiner Klientin für den Glaubenssatz: „Das kannst Du gar nicht.“ In der frühesten Kindheit hatten ihre Eltern sie immer zurückgehalten – teils aus Angst, teils aus mangelndem Zutrauen. Immer wieder fiel der Satz: „Das kannst Du (noch) gar nicht.“

Jeder von uns betrachtet die Welt durch seine Brille. Wo kommt die Brille her? Glaubenssätze kommen aus der Kindheit – die meisten haben wir nie hinterfragt – wir glauben sie einfach (unbewusst) zutiefst und richten unser Verhalten zu 90% danach aus! Aus unserer inneren Stimme ist über die vielen Jahre und Jahrzehnte eine Wahrheit entstanden, die unseren Alltag prägt. Die Herausforderung, die daraus für meine Klientin entstanden war: Immer, wenn sie in einem Meeting mit den männlichen Kollegen saß und ihren Punkt machen wollte, schoss ihr der tiefe Glaubenssatz: „‚Das kannst Du gar nicht!“ in den Kopf. 

Wenn es brenzlig wird…

„Was soll ich tun?“, fragte sie mich schon fast verzweifelt. „Ich habe so viel ausprobiert. Stimmtraining gemacht, mich gut vorbereitet, über Stakeholder-Management Lobby aufgebaut – und trotzdem: Wenn es brenzlig wird in einem Meeting, sacke ich in mir zusammen und werde unsicher.“

Klar, denn unsere Glaubenssätze beeinflussen, wie wir uns fühlen und verhalten. Die Ratio folgt immer der Emotion. Und Glaubenssätze sind fest im Unbewussten verankert und steuern so unser Verhalten. Dabei gibt es nicht nur belastende Glaubenssätze. Selbstbewusste Menschen haben stattdessen oft sehr stärkende Gedanken, wie: „Ich bin gut, so wie ich bin. Ich bin ein kreativer und einfallsreicher Mensch.“ – statt „Ich bin lästig, ich störe.“ etc. Es lohnt sich also, den eigenen Glaubenssätzen auf die Spur zu kommen.

Die gute Nachricht: Das Denken und damit unsere Glaubenssätze können wir verändern. Albert Ellis (1913-2007) – ein amerikanischer Psychologe und Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie, hat dazu ein Modell entwickelt. Er fand heraus, dass in unserem Denken zwischen dem Auslöser, also der Situation (hier: ein männerdominiertes Meeting) und den Gefühlen und Verhaltensweisen (hier: die Klientin sackt in sich zusammen) ein Zwischenschritt eingebaut ist, eine bewusste oder unbewusste Bewertung in Form von Gedanken (hier: „Das kann ich gar nicht.“). Dieser Zwischenschritt B (Bewertung) ist meistens nicht faktenorientiert, sondern eine reine Interpretation / Bewertung auf Basis des Glaubenssatzes.

Das Modell nannte Ellis: ABC

A ist der Auslöser                   B ist die Bewertung               C ist die consequence (Konsequenz)

ABC-Modell in der Praxis

Im Coaching ging es darum herauszufinden, wie meiner Klientin eine Neubewertung der Situation gelingen kann. Dazu lege ich ihr fünf Brillen auf den Tisch und bitte sie, unter jede Brille einen Glaubenssatz zu schreiben. Vier neue Glaubenssätze und ihren altbekannten. Dann simulieren wir eine Meetingsituation – ich spiele einen „Macho-Kollegen“ und bitte sie, die erste Brille – mit dem aktuellen Glaubenssatz – aufzusetzen und verbunden mit der ihr seit Kindheit vertrauten Bewertung: „Ich kann das nicht!“.

„Das fühlt sich richtig schlecht an. Diese Brille, also der ‚Ich kann das nicht-Blick‘, schwächt mich nicht nur, das ärgert mich maßlos.“, lautet ihre spontane Reaktion. Schnell setzt sie die Brille ab und legt sie zu den anderen Brillen auf den Tisch.

Ich kann das locker!

Im nächsten Schritt bitte ich sie, eine andere, neue Brille = Glaubenssatz zuzulassen. Ihre Wahl fällt auf den Satz: „Ich kann das locker!“ Wieder simulieren wir gemeinsam die Meetingsituation. Diesmal geht ein Lächeln über ihr Gesicht, die Körperhaltung verändert sich und auch die Stimmlage wird automatisch tiefer.

Nacheinander probiert sie die nächsten Brillen / Glaubenssätze aus und bewertet die bisher für sie schwierige Situation Schritt für Schritt neu.

„Die grundlegende Erkenntnis, dass meine Gedanken, Bewertungen, Annahmen, Interpretationen verantwortlich für meine Gefühle und infolgedessen für mein Verhalten sind, finde ich mega hilfreich“, so das Feedback meiner Klientin. „Für mich ist klar geworden, dass ich selbst verantwortlich bin für meine Gefühle und lernen muss, nicht reflexartig auf eine Situation zu reagieren, sondern bewusst zu steuern, welche Brille ich aufsetze. Ich befürchte, das ist noch ein langer Weg, aber es ist definitiv ein erster richtig guter Schritt hin zu meinem Ziel, den Jungs im Meeting Paroli zu bieten.“

Sind Sie sich Ihrer Gedanken & Glaubenssätze bewusst? Bemerken Sie diese? Wenn Sie Ihre Gedanken nicht kennen, können Sie auch nichts ändern! Gerne unterstütze ich Sie dabei, wenn Sie einen Brillenwechsel planen!

Mehr zu mir und weiteren spannenden Themen finden Sie unter www.dorettesegschneider.de.

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