Authentizität darf wachsen – und Zufriedenheit auch!

Glück oder für die ‚Gemäßigten‘ unter meinen Lesern: Zufriedenheit kann jeder lernen. Diese Erkenntnis beruht nicht auf „spinnerten“ Eso-Ideen, sondern sie basiert auf den Feststellungen der Wissenschaft. Es ist fast schon eine Binsenweisheit, dass die Forschung im Gehirn ein Zentrum für positive Gedanken und Gefühle – ein Glücksareal – nachgewiesen hat, das jeder Mensch trainieren kann. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Schon nach wenigen Tagen optimistischen Denkens wächst dieses Areal, die Glücksmomente werden häufiger und stärker erlebt. Das heißt: Tägliches Glückstraining zeigt eine unmittelbare Wirkung im Gehirn. Dabei hat dieses Glückstraining nichts mit dem herkömmlichen „positiven Denken“ zu tun. Das „positive Denken“, das in den 80er-Jahren Hochkonjunktur hatte und auch heute noch auf so manchem ‚Chaka-Seminar‘ skandiert wird, beschönigt und ignoriert das Schlechte. Denn – Achtung Kritiker, jetzt kommen Sie zum Zug – „Depri-Gefühle“ sind wichtig für die menschliche Psyche. Sie sind sogar in der Überzahl, wenn man menschliche Emotionen insgesamt betrachtet. Aber warum eigentlich? Positive Gefühle sind zwar erstrebenswerter, aber negative sichern das Überleben. Sie lassen uns zum Beispiel zwischen Freund und Feind unterscheiden, zwischen Recht und Unrecht, und sie ermöglichen es uns, Gefahren zu erkennen. Deshalb sollte man unangenehme Gedanken auch nicht per se ignorieren. Es ist wichtig, sie in unser Leben zu integrieren und anzunehmen. Beim Glückstraining geht es daher auch nicht allein positives Denken, sondern darum, die vorhandenen guten Gefühle zu vermehren und die schlechten zu verringern. Letztendlich ist es ein reiner Erziehungs- und Entwicklungsprozess für unsere Neuronen. Entscheidend ist die Entschlossenheit, den Fokus zu verändern und glücklicher sein zu wollen. Denn nur der effektive Lern- und Lehrprozess, die „richtigen Gedanken“ zu denken, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen und das selbstbestimmte Ziel zu finden, bringen uns diesem Ziel näher.

Just do it!

Wer regelmäßig Sport treibt, stärkt seine Fitness. Wer täglich Klavier spielt, übt seine pianistischen Fähigkeiten. Wer regelmäßig den persönlichen Zufriedenheitsmuskel trainiert, lässt Ängste los und entwickelt sein Glücksbewusstsein.  Wer seine eigenen Stärken erkennt und fördert, lebt sein Potential. So kann jeder letztendlich selbst und wesentlich zu seinem persönlichen Glück beitragen. Eine gute Nachricht für die Top-ManagerInnen in Ihnen:  Strategisches und rationales Denkvermögen unterstützt Sie dabei, Ihr persönliches Glücksempfinden zu stärken.  Lassen Sie mich dazu ein Beispiel aus meiner Coachingpraxis  schildern:  Ein  Vorstand war  täglich  mit  seiner  Unzufriedenheit  konfrontiert,  die  er  an  seinen  Mitarbeitern  „auslebte“  –  wie  er  sich  selbst  eingestand.  Er war bereit, an sich zu arbeiten. Die Atmosphäre im Unternehmen war aufgeladen. Sein Ziel war es, eine Verbesserung der Situation zu erzielen. Auf meine Frage: „Was wäre ein gutes Ergebnis?“ reagierte er überzeugt: „Ich bin mir sicher, dass ich diese Unzufriedenheit in mir nie loswerde – dieser Grantler, der auch in die Luft geht, das bin ich eben.“ Sonst fühle er sich nicht authentisch.

 

Authentizität darf wachsen

„Authentizität darf wachsen,“ erkläre ich ihm. Unsere Persönlichkeit ist nicht aus Beton. Im Gegenteil: Wir entwickeln uns ständig weiter. Unsere Fähigkeiten, unser Verhalten etc. – unser Leben ist ein stetiger Entwicklungsprozess. Zwar wird aus einem Introvertierten und kooperativen Nerd nur selten eine den Wettbewerb liebende Rampensau. Die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit an sich, ist dagegen ein natürlicher Prozess. In einer Studie haben Margaret King und Jamie O’Boyle (Center for Cultural Studies & Analysis) nachgewiesen, dass der Mensch sich zwischen 35 und 40 Jahren neu erfindet und dann noch einmal zwischen 55 und 60 Jahren – das erst macht ihn authentisch. Die abgeschlossene, finale Persönlichkeit ist also eine Illusion. Authentizität darf wachsen! Wir können auch authentisch sein, wenn wir uns und unser Verhalten nach außen verändern. Entscheidend ist, dass wir im ursprünglichen Sinne des Wortes – aus dem Griechischen authentikós, „autos“ bedeutet selbst und „ontos“ bedeutet sein – wir selbst sind.

 

Grantler adé

Der Gedanke, seine „Grantler-Persönlichkeit“ infrage zu stellen oder gar loszulassen und im ersten Schritt, den Fokus auf seine persönliche Zufriedenheit zu legen, überzeugte meinen Klienten zunächst nicht. Er war sich sicher,  diese  Unzufriedenheit, die ‚Rastlosigkeit‘, wie er sie nannte, nie  loszuwerden  –  Zufriedenheitsgefühle waren  ihm  fremd  geworden.  Seine Erklärung:  Sein  ständiger  Wissensdurst,  sein  unermüdlicher  rationaler  Umgang mit Problemen führten dazu, dass seine Gedanken ständig „Karussell“ fuhren und damit nie still standen.  Rund um die Uhr stelle er sich und seine Arbeit infrage.  Zufriedenheit kenne er nicht mehr.  Im Coaching forschten wir nach der Ursache:  Eines seiner Hauptbedürfnisse war es, Bedeutung zu erlangen. Sein Streben nach Bedeutung befriedigte er – zusätzlich zu den Erfolgen, die er rein zahlenmäßig im Unternehmen vorzuweisen hatte (und das für ihn schon zur Normalität geworden war)  –  mit  einem  ständigen  Gedankenkarussell,  das  ihn  und  seine  Umwelt infrage stellte. Er wollte immer mehr wissen, über sich, über die  Prozesse,  über  Inhalte,  kurzum:  über  alles,  was  ihn  umgab. „Dieser ‚Allwissende‘ zu sein macht mich glücklich“, stellte er fest. Nur, dass dieser Glücksmoment quasi nie eintrat. Als  ihm deutlich wurde, dass dieses Streben nach Bedeutung eine wesentliche Ursache für seine Unzufriedenheit war, ging er den zweiten Schritt – hin zur Zufriedenheit  –  fast  schon  von  selbst  und  gelangte  zu  der  Einsicht,  dass er selbst die „Macht“ über seine Gedanken hat und es jetzt eine Frage  der  Disziplin  ist,  die  „richtigen  Gedanken“  zu  fassen. Er nutzte seine Energie, „alles zu wissen“ und zu hinterfragen und lies sich auf den neuen Weg ein: Er trainierte, seinen belastenden  Gedanken-Prozess  zu stoppen und  übte  täglich  eine  neue  „Faustregel“  für  sein  Gehirn:  „Ich  schätze  mein  Gehirn  –  ich  lasse  das  Gedankenkarussell  los.“  Er  würdigte  damit  sein  aktives  Denken  und  begab sich  gleichzeitig  in  die  Lage,  durch  den  ‚Loslass-Prozess‘  Zufriedenheit  aufzubauen. Ein positiver Nebeneffekt: Er wurde gelassener. Beides – Zufriedenheit und Gelassenheit – strahlte er dann auch auf das Unternehmen aus und konnte zusätzliche Erfolge verbuchen.

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