Als Vorstand im Mittelstand: Wenn Eigentümer kein Feedback geben

„Ich bekomme einfach kein Feedback. Gestern hatte ich – auf meine dringliche Bitte hin – das erste Feedbackgespräch nach Jahren. Ich musste ihm die Wörter aus der Nase ziehen und konkret fragen: ‚Was wünschen Sie sich anders von mir?‘ Und selbst dann waren die Antworten noch sehr nett verpackt. Ich weiß immer noch nicht, wo ich dran bin.“ berichtet der COO zu Beginn seines Executive Coachingtags.

Was genau meinen Sie mit „sehr nett verpackt?“ frage ich nach. „Mein Chef, der Eigentümer der Firma, ist einfach nicht explizit und sagt klipp und klar: ‚hier wünsche ich mir das anders.‘ Stattdessen sagt er Sätze wie: ‚Wenn ich das reflektiere, dann hätten Sie auch …‘ oder ‚mich hat es überrascht, dass Sie sich das noch nicht überlegt haben.‘ Da muss ich dann zwischen den Zeilen lesen, was er meinen könnte. Das geht seit Jahren so.“

„Was wäre hilfreich für Sie?“ will ich von ihm wissen. „Regelmäßige, konkrete Feedbackgespräche – das würde mir helfen. Das gibt mir ein gutes Gefühl – ich weiß, wo ich stehe.“

Die Lösung für meinen Klienten heißt: Führen nach oben. Wenn der Vorgesetzte kein Feedback gibt, dann hat der Mitarbeiter jederzeit die Möglichkeit, das Feedback einzufordern, indem er „nach oben führt“.

„Was wäre der erste Schritt, den Sie gehen können?“ „Ich könnte konkretes Feedback einfordern und ihm sagen – so wie ich es bei Ihnen gelernt habe – mit dem 4 Quadranten-Modell, was auf meiner Hinterbühne los ist – also was mich bewegt.“
 

Konkrete Umsetzung

„Wie würden Sie das konkret umsetzen?“

„Indem ich sage, was die Fakten sind – also, dass wir in meiner Welt zu selten Feedbackgespräche führen und, dass mir das letzte – auch wenn ich mir noch mehr Klarheit gewünscht hätte – gutgetan hat. Und, dass es mir Selbstsicherheit gibt und, dass mir eben diese Klarheit so wichtig ist, deshalb bitte ich ihn ab sofort regelmäßig Feedbackgespräche zu führen.“

„Wie könnte das konkret aussehen?“ „Wir haben regelmäßige Jour fixes. Da werde ich ab sofort immer einen Feedback-Part mit aufnehmen und ihn entsprechend vorher darüber informieren.“
 

6-facher Business-Mehrwert einer guten Feedbackkultur

Diese kurze Coachingeinheit zeigt, wie wichtig Feedbackgespräche für Führungskräfte auf Toplevel sind. Das wird noch immer von vielen Eigentümern und Unternehmern unterschätzt. Dabei ist der reine Business-Mehrwert einer starken Feedbackkultur längst erwiesen:

  1. Regelmäßige Rückmeldung über Verhalten und Wirkung im Arbeitsalltag führt zu mehr Transparenz und stärkt die Vertrauenskultur.
  2. Wenn Probleme offen angesprochen werden, wird Stillstand verhindert und Energie freigesetzt.
  3. Es werden schnellere Lern- und Optimierungsschleifen in Prozessen ermöglicht.
  4. Das Selbstvertrauen der Mitarbeiter wird gestärkt und wächst kontinuierlich.
  5. Die Mitarbeiter werden zu Mitgestaltern und Mitdenkern – anstatt zu Mitläufern.
  6. Die Attraktivität als Arbeitgeber steigt.

Feedbackinstrumente gibt es zahlreiche – von 360 Grad über klassische Mitarbeitergespräche, digitale Feedback-Fragebögen bis hin zu Upward-Feedback, bei dem Chefs Mitarbeiter gezielt danach fragen, wie sie ihn als Führungskraft wahrnehmen und was sie sich von ihm wünschen. Solche Feedbackgespräche sollten Unternehmer keinesfalls zwischen Tür und Angel führen. Im Gegenteil: Eine gute Gesprächsvorbereitung ist das A&O – sowohl für den Unternehmer oder die Unternehmerin als auch für den Mitarbeiter, der sich im Vorfeld – so wie mein Klient – Gedanken dazu machen sollte. Die Möglichkeit zu Upward-Feedback besteht beispielsweise in jährlichen Mitarbeitergesprächen oder – so wie bei meinem Klienten – im regelmäßigen Jour fixe, wenn das Gespräch entsprechend annonciert wird. Den Effekt des Upward-Feedbacks hat mein Klient noch in der Coachingsitzung klar formuliert: „Ich fühle mich wertgeschätzt, wenn meinem Chef meine Meinung wichtig ist. Das tut so gut!“

Man kann es nicht „laut genug“ sagen (oder besser schreiben): Strategisch angelegtes und sinnvoll platziertes Feedback durch Führungskräfte wird enorm hoch geschätzt und darf nach Meinung der meisten Führungskräfte gerne auch häufiger gegeben werden. Umgekehrt hat beiläufiges Feedback jeder Art nur wenig Einfluss auf die Zufriedenheit. Für Unternehmen lohnt es sich, Top-Down in nachhaltige, strategische Feedbackformen zu investieren und individuelle Feedbackinstrumente zu entwickeln.

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